Samstag, 18. Juli 2020

Sei bereit, gehasst zu werden

Da bin ich gestern rausgekommen. Völlige Hingabe ans Gehasstwerden. Die totale Bereitschaft, das zu fühlen und auszuhalten. Aushalten im Sinne von: nicht weg haben wollen oder in den Gegenangriff zu gehen. Keine Argumentation, kein Überzeugen wollen des anderen, dass es ja gar keinen Grund gibt, mich zu hassen. Keine Erklärungen, keine Rechtfertigungen meinerseits. Nichts. Kein Wort. Nur bewusst fühlen, dass ich gerade gehasst werde. Hineinsterben in diesen Zustand/Umstand.

Ich muss nicht von jedem gemocht werden. Mich muss nicht jeder verstehen. Mit mir muss nicht jeder klar kommen. Es ist normal, dass manche Menschen mit mir und meiner Einstellung nichts anfangen können. Es ist okay, wenn sich Menschen durch meine bloße Existenz und meine Art zu leben, bedroht fühlen. Gerade jetzt in diesen Zeiten sowieso.

Letztlich hassen sie nicht wirklich mich, sondern das, was sie in mir sehen oder noch anders, das, was ich in ihnen auslöse. Sie hassen die Angst, die ich hochhole in ihnen. Sie hassen die Ohnmacht, das Rütteln an ihrer Scheinsicherheit. Und irgendwie hassen sie sich selbst und sehen in mir die Anteile, die sie zutiefst verabscheuen, auch und gerade an sich.

Die meisten Menschen, die mir ihren Hass entgegenschleudern, wissen nichts von mir, kennen meine Geschichte nicht, sehen einen Fetzen von mir, eine Momentaufnahme und Fällen dann ein Gesamturteil. Sie Fragen nicht nach meinen Beweggründen, nach den Hintergründen, den Gedanken, die ich mir zu etwas gemacht habe.

Würde ich mich erklären wollen, würde das lange dauern. Seeehr lange. Meine Worte, ihre Frequenz und Schwingung würden nicht beim Gegenüber ankommen. Ganz andere Frequenz. Wir senden nicht auf dem gleichen Kanal. Vergebene Liebesmüh. Was bleibt ist, mich hassen zu lassen. So what? Es ist eine Erfahrung mehr nicht. Es sagt weder was über meinen Wert aus, noch tut es mir tatsächlich etwas. Meine Essenz ist davon unberührt. Ich bin das für andere, was sie in mir sehen wollen. Nicht mehr und nicht weniger.

Klar, angenehm ist was anderes und gleichzeitig hab ich es nicht in der Hand, was andere in mir sehen wollen. Also lass ich mich einfach hassen und bleibe mir treu, umgebe mich mit Menschen, die mich so lieben wie ich bin und liebe mich vor allem selbst, mit all meinen Werten, Eigenheiten und Facetten, mit meinem ganzen So-Sein.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche