Freitag, 2. April 2021

Das Mär über die bedingungslose Liebe

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es da ein riesiges Missverständnis gibt. Bedingungslose Liebe. Den anderen so sein lassen, wie er eben ist. So weit, so gut. Viele implizieren da aber, dass sie damit alles ertragen und erdulden müssen, was andere tun, dass sie alles über sich ergehen lassen müssen, zurückstecken, so lange an sich herumoptimieren, bis man den anderen sein lassen kann, bis man nicht mehr wütend wird, wenn der andere halt so ist, wie er ist.

Diese Idee ist ungefähr so schlau, wie die Hand ins Feuer zu halten und sich zu sagen, dass man nur lange genug meditieren muss, bis es nicht mehr weh tut. Jeder halbwegs vernünftige Mensch nimmt die Hand aus dem Feuer oder hält sie gar nicht erst rein. Meine Unversehrtheit und mein Wohlergehen dürfen bei dieser bedingungslosen Liebe schon durchaus einen Stellenwert finden. Dieses Bedingungslose-Liebe-Ding gilt nämlich auch mir selbst gegenüber.

Ja, für meine Begriffe ist bedingungslose Liebe tatsächlich, dass man den anderen komplett so lässt, wie er ist. ABER ich darf auch so sein, wie ich bin und aus dem So-Sein des anderen meine Konsequenzen ziehen. Ich muss nicht bleiben, mich verrenken und dann klein beigeben, nur damit ich auch auf jeden Fall und unter allen Umständen diese "verdammte" bedingungslose Liebe lebe. Aus meiner Sicht, ist das eine der größten Licht-und-Liebe-Fallen der spirituellen Welt. Eine herrliche Gelegenheit zur Selbstkasteiung im Namen des Gutmenschentums.

Von meinem Gegenüber kommt eine klare Ansage, dass er diese und jene Werte leben möchte, dass er dieses und jenes Verhalten von seinen Mitmenschen wünscht. Super. Wenn ich das aber nicht erfüllen kann und will, weil das bedeuten würde, dass ich mich dabei selbst verrate, Krieg gegen mich führe, mich verbiegen oder verstellen muss, anstrengen muss, oder in sonst irgendeiner Form, nicht ich sein kann, dann hat das seine Berechtigung. Wenn ich mir Zusammenleben und Beziehung ganz anders vorstelle, ist das eben auch so.

Meine Werte und Vorstellungen von einem Miteinander sind genauso anzuerkennen, wie die des anderen. Da stehen zwei gleichwertige Wesen und wenn da kein Konsens zustande kommt, der eine Win-Win-Situation ist, dann passt es eben nicht. Man muss sich nicht einigen. Man darf sich durchaus auch zweinigen. (Ich liebe dieses Wort von Vera F. Birkenbihl!)

Bedingungslos Liebe, die universelle Liebe, die Schöpfung, Gott, das Leben würde mich niemals dazu zwingen, mich selbst zu verraten.

Und nein, du wirst nicht einsam und alleine enden, weil du dann völlig inkompatibel bist und zu speziell und anspruchsvoll, zu komisch und eigen. Nein, du musst nicht von Glück reden, wenn es überhaupt jemand nur ansatzweise mit dir aushält. Du darfst den Anspruch haben, dich zu 100% zum Ausdruck zu bringen und keinen Millimeter verstellen zu müssen. Du darfst vollumfassend deine wahre Natur leben und es wird die Menschen geben, die dich genau dafür feiern und lieben und mehr davon wollen, die dich schätzen, ohne dass du einen Eiertanz vollführen musst.

Es gibt nicht nur die Wahl zwischen "Entweder verbiege ich mich und kann dann in Gemeinschaft sein" oder "Ich bin ich und bin dann halt alleine". Es gibt tatsächlich und wahrhaftig Variante drei: Ich kann ich sein UND in Gemeinschaft sein. Tataaaaaaa!

Ja, da mögen Beziehungen, Freundschaften, Nachbarschaften, Kollegschaften sich auflösen, aber es werden neue kommen. Wie soll dich deine Herde finden, wenn du dich nicht zeigst, mit dem, was dich ausmacht? Wie soll die gelbe Gruppe dich sehen können, wenn du dich ständig blau anmalst?

Bekenne Farbe, stehe zu deinem So-Sein, zeig dich damit und vertraue, dass es die gibt, die genauso schräg sind wie du, deren Dachschaden herrlich mit deinem harmoniert.😉

Sei bedingungslos und konsequent du. Alle anderen gibt es schon. Und vor allem, mach es nicht nur den anderen recht und erzähle dir, dass das bedingungslose Liebe wäre und ein heiliger Akt. Das ist nicht heilig, das ist scheinheilig. Anderen einen Gefallen tun mit etwas, das dir überhaupt nicht gefällt, ist Hochverrat an dir selbst, am Leben und dessen Schöpfungen, von denen du eine bist. Tu die Dinge dir zu Liebe, als Ausdruck deiner Achtung vor dir selbst.

DAS wollte wohl gerade dringend in die Welt. 😉❤ 

 

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche