Samstag, 13. November 2021

Von toxischen Beziehungen

Es ist immer wieder krass, sich einzugestehen, wenn man sich in so einer Beziehung wiederfindet. Ob Freunde, Partner, erwachsene Kinder oder Eltern, ganz egal. Vorkommen kann es überall. Der Moment, in dem man begreift und wirklich sieht, dass der andere überhaupt keine Verantwortung für sich übernimmt ist immer hart.

Toxische Muster zu erkennen ist manchmal echt tricky und wenn man regelmäßig damit konfrontiert wird, weil man z. B. zusammen wohnt, dann ist es umso schwieriger. Die Tarnung ist meistens großartig und das meine ich gar nicht wertend. Da gibt es die bunteste Vielfalt an emotionaler Erpressung. Der andere braucht ja dringend, dass ich mich bemühe, seine Wunden umschiffe und alle "Schuld" zu mir nehme, warum denn die Beziehung nicht funktioniert oder manchmal unangenehm wird.

Ich soll so sein, dass es für ihn am bequemsten ist. Was mit mir dabei ist, wo ich also bleibe, das ist irrelevant und Gespräche, die das andeuten, enden meistens mit dem Vorwurf des Egoismus, mit  Schuldzuweisungen oder gar mit verdrehten, spirituellen Weisheiten. Klar ist auf jeden Fall, dass ich das Problem bin. Ich bin "schuld", wenn die Kommunikation nicht funktioniert, wenn es Missverständnisse gibt, wenn es anstrengend ist für den anderen.

Beziehungen sind keine Einbahnstraße. Gott sei Dank habe ich mittlerweile genug Referenzerfahrungen mit Menschen, die wirklich in der Eigenverantwortung sind, die sich um ihre Wunden kümmern, die dankbar sind, wenn sie auf einen blinden Fleck aufmerksam gemacht werden.

Gott sei Dank, weiß ich mittlerweile, wie es sich anfühlt, wenn der andere wirklich will, dass es auch mir gut geht und dass Entfaltung und Freiheit von beiden, die wahre Natur leben, das oberste Gebot ist. DANKE dafür!!! ❤️

Und da bin ich wieder bei der Entwicklungspsychologie, über die ich in meinem letzten Podcast geredet habe. Mit Menschen, die in weiten Teilen noch keine Idee von sich selbst haben, kein Gefühl für sich, keine innere Landkarte, kein Wertesystem, können sich auch nicht einfühlen, haben keine Vorstellung davon, wie sich andere bei ihren Handlungen fühlen und das ist ihnen auch nicht wichtig. Da ist keine Empathie. Da geht es lediglich um ganz kurzfristig gedachte, direkte Bedürftigkeitenbefriedigung, zu der sie meist selbst nicht in der Lage sind. Empathie? Fehlanzeige!

Sie fühlen weder sich noch andere. Das hat in dieser Entwicklungsstufe noch nicht stattgefunden. Sie haben kein eigenes Wertesystem und damit kein Gewissen. Sie haben keine Idee von einem weiteren Lebenssinn als das bloße Überleben an sich. Sie haben keine Idee von einem kosmischen Willen, von größeren Zusammenhängen. Da ist kein Weitblick und auch gar kein Interesse daran, mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Sie wissen noch nicht mal, dass sie sich auf einem Teller befinden, der noch lange nicht das ganze Universum ist.

Überleben und dazu gehören. Mehr ist es nicht und dafür sind die anderen zuständig. Kleinkindverhalten. "Fütter mich! Spiel mit mir!" Kennt ihr noch die Tamagochis?

Hier und jetzt dem Bequemlichkeitsgefühl folgen. Gut muss es sich anfühlen und wehe es wird unbequem mit "doofen" Fragen von anderen über Hintergründe, Werte, Innenleben. Bloß nicht! Und dann ist der andere das Problem. Der soll sich gefälligst anders verhalten, damit es wieder schön bequem ist, damit die Belieferung und Versorgung wieder stattfindet, damit der andere schön weiter die Wunden umschifft und betüttelt. Andersdenkende und Fragensteller sind eine Gefahr und Bedrohung. Das macht unangenehme Gefühle und das muss sofort aufhören.

Das Ding ist, das ist keine Böswilligkeit. Das ist Unvermögen. Die Psyche, das Nervensystem, die Synapsen, sie sind nicht so weit entwickelt, dass da mehr stattfinden könnte. Da sind also Erwachsene, rein körperlich, die aber nie innerlich gereift sind. Ja noch krasser, die wahrscheinlich auch noch traumatisiert und fragmentiert sind.

Wenn ich Erwachsene weiterhin beliefere und versorge, wie ich es bei einem Vierjährigen tun würde, weil ich das toxische Muster nicht erkenne, dann findet diese Reifung niemals statt. Erkennen ist so wichtig. Erkennen, was da läuft und dann das Spielbrett verlassen, die Muster nicht mehr bedienen, den Erwachsenen fordern und vor allem sich selbst nur noch um das kümmern, was wirklich mein Business ist.

Es ist nicht unmenschlich, andere mit sich selbst zu konfrontieren und in ihre eigene Verantwortung zu entlassen. Es ist nicht unmenschlich solche Beziehungen zu beenden, den Kontakt abzubrechen. Es wäre unmenschlich, es nicht zu tun. Und vor allem ist es unmenschlich mir gegenüber, gegen mich selbst zu handeln, um es für andere bequem zu lassen.


(PS: Zu dem Thema empfehle ich wirklich meinen Podcast vom Satsang, in dem es um Eigenverantwortung und Bewusstseinsentwicklung ging, und den Podcast danach zur Vertiefung.)

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche