Donnerstag, 26. Dezember 2019

Ehrlichkeit ist ein Geschenk

"Wenn ich immer ehrlich bin, bin ich anstrengend."

Auf diese Überzeugung bin ich die Tage gestoßen. Ich kam mir ganz oft vor, wie wenn ich ständig nur am Meckern wäre. Immer was auszusetzen. Immer Extrawünsche. Nie zufrieden. Besserwisserisch. Immer eine Meinung. Zu allem was zu sagen. Für die anderen eine Zumutung.

Bei näherer Betrachtung ist mir aufgefallen, dass ich einfach nur ehrlich bin. Immer sage, was ich wirklich denke. Tatsächlich eine Meinung habe, weil ich mich schon mit so Vielem auseinandergesetzt habe.

Mein Eindruck, dass mich das anstrengend macht, wurde dadurch verstärkt, dass so viele anders sind. So viele halten die ehrliche Meinung zurück. Mal aus Angst. Mal aus falscher Rücksichtnahme. Mal deswegen, weil sie selbst gar nicht wissen, was ihre Meinung überhaupt ist.

Wenn ich dann also zu allem eine Meinung habe und eigentlich immer weiß, was ich will und was ich nicht will, dann richten sich meistens die nach mir, die keine Meinung haben. Ich komme mir vor, wie wenn ich dann die anderen übergehe, ständig bestimme, alles kontrolliere.

Dabei stimmt das kein Stück. Ich denke und fühle meistens sogar noch für die anderen mit, bin viel zu vorsichtig und voll oft deswegen in den Angelegenheiten der anderen unterwegs, die mich eigentlich gar nichts angehen, weil ich keinen übergehen möchte. Ich will niemanden bedrängen oder zu etwas überreden. Ich will nicht einfach meinen Willen durchdrücken und die Meinungslosigkeit der anderen ausnutzen. Um so schrecklicher komme ich mir vor, wenn ich ständig weiß, was ich will, andere sagen "ist mir egal" und dann das passiert, was mir am besten passt. Ich komme mir herrisch vor.

Dabei kann ich nichts dafür, wenn andere keine Meinung haben. Ich kann nichts dafür, wenn andere Angst haben, ehrlich zu sein. Ich kann nichts dafür, wenn sich andere nach mir richten, aus welchen Gründen auch immer. Ich kann nichts dafür, wenn mir der andere nicht die Stirn bietet.

Ich selbst schätze selbst-bewusste Menschen sehr, Menschen, die ganz klar wissen, was sie brauchen, wollen, die zu allem eine Meinung haben bzw finden und reflektiert sind. Sie sind mir sogar die liebsten. Ich will ungefiltert hören, was andere denken. Mich muss keiner schonen. Ich will vor allem auch hören, was sie über mich denken. Ganz aufrichtig die ehrliche Meinung.

Mein Fazit?

▪️Mir bleibt nichts anderes übrig, als ehrlich zu sein. Das ist ein Wert, den ich lebe und weiterhin leben werde.

▪️Ich darf aufhören für andere mitzudenken. Jeder ist für sich verantwortlich. Jeder hat die gleiche Chance, seine Meinung zu sagen. Tut es jemand nicht, ist es nicht meine Schuld. Ich lade immer dazu ein, lasse den Raum, biete die Möglichkeit. Was der andere damit anfängt, liegt nicht in meiner Hand.

▪️Nur weil ich weiß, was ich will und andere sich anpassen, bin ich noch lange nicht herrisch. Und gleichzeitig darf ich es mir erlauben, herrisch zu sein. Ich bin immer alles.

▪️Ich persönlich empfinde es tatsächlich als anstrengend, wenn jemand NICHT weiß, was er will. Also genau das Gegenteil von meiner überholten Ausgangsüberzeugung. Also bin ich wohl ein Geschenk, wenn ich immer ehrlich bin. 😉 Die Ansicht gefällt mir auch viel besser. Die nehm ich. 😁

Meine Ehrlichkeit ist ein Geschenk. Meine Ehrlichkeit ist eine Erleichterung für andere. Dass ich weiß, was ich will, dass ich gut für mich sorge, ist eine Erleichterung für andere.

PS: Bevor jetzt wieder die ganzen Abers kommen, dass ich ja nicht immer einfach alles sagen muss, was ich ehrlich denke und dass Taktgefühl und Klappe halten ja auch mal ganz gut ist - um diesen Aspekt geht es mir erstens gerade nicht, zweitens hab ich da ein sehr gutes Gefühl dafür und drittens heißt immer ehrlich sein nicht, dass ich alles sage, was ich wahrnehme. Wenn ich aber etwas sage, bin ich ehrlich.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche