Mit einer übergeordneten Wahrheit von den eigenen Gefühlen wegzugehen, ist nicht spirituell und das ist auch nicht reif oder weise. Das ist Gewalt gegen mich selbst. Ich verlasse mich, wenn ich sofort zu dieser höheren Wahrheit gehe und nicht vollumfänglich erfasse, was eigentlich in mir los ist. Damit diskutiere ich mir quasi selbst meine eigenen, echten Gefühle weg, verpasse noch dazu eine Gelegenheit, mir tiefer zu begegnen, noch mehr über mich zu erfahren und - und das ist für mich fast das Schlimmste - ich gehe von meiner gesunden, angebrachten Wut weg, lösche mein eigenes Feuer und nehme mir meine eigene Autorität.
"Oh, er kann es halt gerade nicht besser." Verdammt noch mal. Ich wurde gerade von jemandem innerlich verlassen. Das tut weh. Das macht was mit mir. Und das gilt es wahrzunehmen. Für wahr zu nehmen, anzuerkennen und in mir fühlend bewusst zu haben. DAS bedeutet das gerade für mich. Ich kann den anderen nicht mehr erreichen. Ich bin alleine, obwohl jemand da ist. Es kann gerade keine Verbindung stattfinden und das liegt nicht an mir. Ich bin ohnmächtig und das Ganze ist tatsächlich furchtbar traurig. So richtig, richtig traurig. Und da ist der Wunsch in mir, dass es anders ist. Da ist das grundsätzliche Bedürfnis das so nicht zu wollen. Das ist nicht das, wie ich mir ein Miteinander vorstelle. Ich bin zu Präsenz in der Lage. Ich will mit Menschen sein, die das auch sind. Diese Präsenz ist gerade nicht da. Das ist nicht änderbar. Ich spüre in mir nach, was ich jetzt mit dieser Tatsache anfangen möchte. Ich könnte gehen. Ich könnte all das aussprechen. Ich könnte einfach sitzen bleiben und all das wahrnehmen und fühlen. Anerkennen, dass es jetzt gerade so ist und dass ich das dazu fühle, was ich eben fühle. Ich beobachte meine Gedanken, ohne sie zu zensieren. Ich bin bei mir. Und ja, der andere kann es gerade nicht besser, das heißt aber nicht, dass ich meine Gefühle nicht haben darf, dass ich nichts sagen darf, dass ich es hinnehmen muss und damit klarkommen muss, dass ich keine abweichenden Bedürfnisse haben darf. Auch wenn sie jetzt nicht erfüllbar sind, nehme ich wahr, dass sie da sind und bügel nicht über mich selbst drüber.
"Das sind ja auch Gottes Geschöpfe." Ja, das ist wahr. Aber sie verhalten sich gerade nicht so, als würden sie das wissen. Sie handeln aus der Trennung. Sie befinden sich in der Trennung und deswegen sind sie zu Gewalt in der Lage, ohne es zu bemerken. ICH bemerke diese Gewalt und das macht was mit mir. SO fühlt es sich an, wenn ich Gewalt beobachte, Unrecht, Unterdrückung, Ignoranz, Achtlosigkeit. Das geht nicht spurlos an mir vorüber. Ich bin ein fühlendes Wesen, das voll in der Verbindung ist und ALLES wahrnimmt, wie wenn es mir geschieht. So sind wir eigentlich angelegt und nur wenn ich mich selber abtrenne, verlasse und dumpf mache, von mir weg gehe, bin ich in der Lage zu sagen: Ach, das sind doch auch Gottes Geschöpfe. In dem Moment habe ich mich verlassen, wenn eigentlich Schmerz in mir ist. Wenn Wut in mir ist, die voll berechtigt ist. Seelenwut, die da ist, wenn etwas nicht in der Ordnung ist. Wenn es in mir brodelt und tobt, mir es schier das Herz zerreißt, bei dem Anblick, wenn zum Beispiel ein Vater sein weinendes Kind anschreit und fragt, ob es ihn eigentlich verarschen will. In solchen Momenten bin ich ganz bei mir. Fühle mich, während ich beobachte. Fühle und sehe die Not des Kindes, des Schutzbefohlenen, das hilflos ausgeliefert ist, das nicht verstanden wird, das null erfasst wird und niedergebügelt und dadurch noch mehr in Not kommt und darin wieder nicht erfasst wird. Ich sehe darin das, was mir so oft passiert ist, verstehe mich dadurch noch besser. Mit solchen krassen Situationen war ich tausendfach konfrontiert. DAS ist mir widerfahren. Jetzt sehe ich es von außen, vollziehe nach, begreife mich. Ich sehe dieses Kind. Ich sehe mich. Und ich kenne auch das Fühlen des Erwachsenen. Ich war früher genauso da. Dachte, dass Kinder einfach nur kleine Erwachsene sind und mich testen wollen, verarschen, mit Kalkül foppen und reizen und an der Nase herumführen können. Auch das nehme ich wahr und bin erschüttert, erinnere mich an Situationen mit meinen Nichten, bin betroffen und muss feststellen, ich wusste es nicht besser. Ich konnte es nicht besser. Das war damals meine Wahrheit. Und gleichzeitig bin ich jetzt betroffen darüber, sehe, fühle, was tatsächlich gewesen ist, was die Zwerge gebraucht hätten von mir, was mein Verhalten für sie bedeutet hat, erkenne nachträglich ihre Lage an, sehe meine Verblendung, meine Abtrennung, wie viele Lügen ich über Menschsein geglaubt hatte, erkenne meine Überforderung, meine Ängste, meine Engstirnigkeit, mein Kontrollbedürfnis, meine unfassbare Ohnmacht. Ja, so war es. Und in all dem bin ich in meiner Ganzheit da, ohne auch nur irgendwas von mir abzuschneiden.
Für mich ist es essentiell zu erfassen, was tatsächlich die Wahrheit des Moments ist. Wie geht es mir denn tatsächlich? Und wozu um Gottes Willen braucht es diese spirituelle Phrase wirklich? Wer in mir spricht? Will ich mich selbst beruhigen und meine Wut abmildern? Will ich damit meiner Ohnmacht begegnen?
Ich kann von mir sagen, dass es sau gut tut, voll im Feuer da zu sein. ALLES in mir zu fühlen, was gerade da ist und vor allem BEI mir und IN mir zu sein und zu bleiben, keinen Millimeter von mir wegzugehen. DAS bedeutet das gerade für mich. Verständnis für MICH zu haben. Und eins mag ich in dem Zuge noch ergänzen: So oft sind Trigger keine wahren Trigger, sondern gesunde, adequate Reaktionen auf krankes Verhalten von anderen mir gegenüber. Es gibt nichts zu integrieren oder anzuschauen, es gilt ganz klar Position zu beziehen und MIT dieser Wut FÜR meine Integrität, Würde und Bedürfnisse dazustehen. Ich mag mich nicht mehr abmildern und ich werde fuchsteufelswild, wenn ich bei anderen beobachte, wie sie ihre gesunde Wut wegargumentieren oder darin den Fehler suchen.