Freitag, 22. März 2019

Wirklich stark bin ich, wenn ich auch schwach sein darf

Bei aller Energie und Kraft, die ich habe, liebe ich es, weich zu sein, zart, verletzlich, zerbrechlich, weit, offen, nahbar. Ich liebe es, Menschen zu berühren und das gelingt vor allem deswegen, weil ich berührbar bin. Ich zeige mich mit meinem Schmerz, ich zeige mich in meiner Kleinheit, ich zeige mich, wenn ich weine, wenn mich etwas bewegt. Ich zeige mich mit meinen Themen. Ich spreche über jedes Gefühl, das ich habe, sage offen, was gerade los ist. Echte Nähe, echte Verbindung, eine Verbindung auf Herzebene findet dann statt, wenn auf beiden Seiten absolute Offenheit besteht.

Früher hatte ich sooo große Angst verletzt zu werden. Ich hatte dicke Mauern um mich gebaut. Angriff war meine beste Verteidigung. Lieber habe ich Menschen vorsorglich verprellt, als mich wirklich zu zeigen und sie nah an mich ranzulassen. Ich war oft grob, schroff und schnodderig, habe dumme Witze gerissen, meist auf Kosten der anderen, nur damit keine allzu große Nähe entstand.

Mit so einem Verhalten findet keine tiefe Begegnung statt. So ein Verhalten schreckt andere ab und genau das wollte ich. Dafür habe ich allerdings auch einen hohen Preis gezahlt: Ich war abgeschnitten. Abgeschnitten von mir selbst, abgeschnitten von anderen. Ich habe Masken getragen, eine Rolle gespielt. Oft habe ich mich einsam gefühlt, richtig einsam. Eigentlich wollte ich nur gemocht werden, doch mein Verhalten hat das den anderen nicht wirklich leicht gemacht. Ich habe die Starke gemimt, die Taffe, die alles im Griff hat. Ich wollte selbstbewusst wirken, die Kontrolle behalten und hatte dabei so sehr Angst, ausgelacht zu werden, ausgeschlossen zu werden, verurteilt zu werden, für das, was ich eigentlich wirklich war: Zerbrechlich, sensibel, höchst gefühlvoll, sentimental, fein, zart, total verunsichert und ziemlich verloren.

Als ich angefangen habe, mir das alles zuzugestehen, meine weiche, weibliche Seite, als ich mehr und mehr zu mir stand, mit allem, was gerade da war, hat mich das enorm erleichtert. Ich musste niemandem mehr etwas vormachen. Ich musste keinen Schein mehr wahren. Ich musste kein Trugbild mehr aufrechthalten. Ich war bereit, alles zu fühlen. Auch eventuelle Ablehnung. Die Sehnsucht, einfach ich zu sein, war irgendwann größer als die Angst vor Verletzung.

Diese immer größer werdende Freiheit, die damit einherging, ist unbezahlbar. Die Nähe, die daduch stattfinden kann, ist ein riesiges Geschenk. Die Stärke, die dadurch wirklich entsteht, weil es nichts mehr zu verheimlichen gilt, weil ich da stehe, immer, mit allen Emotionen, in jeder Lebenslage und mich zeige, ist echte Stärke und keine gespielte. Wirklich stark bin ich, wenn ich meine Schwäche kenne und liebe. Wirklich nahbar bin ich nur, wenn ich bereit bin, alles zu fühlen.

Verletzen kann mich niemand. Mir kann nur gezeigt werden, dass ich bereits verletzt bin. Niemand kann ein Gefühl in mich hinleigen. Er kann mir nur zeigen, dass es schon da ist. Wenn so etwas passiert, mag das erstmal unangenehm sein und gleichzeitig ist es ein weiterer wichtiger Schritt in noch mehr Freiheit, in noch mehr Nähe, in noch mehr Offenheit. Was soll mir schon schlimmeres geschehen, als das ich mich selbst erkenne?

Nie mehr würde ich zurückwollen hinter die scheinbar schützenden Mauern. Ich bleibe da stehen, weit, komplett offen, nackt, bereit, alles zu fühlen, ALLES, denn das ist das Leben. Ich bin bereit, von jedem gesehen zu werden. Ich lasse jeden in mein Herz schauen, in meine Seele, in mein Innerstes. Das ist Anbindung. Das ist Verbindung. Drunter mache ich es nicht mehr. Danke für jeden, der mir genauso begegnet. Ihr seid so kostbare Geschenke!!!


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche