Um das letztere Phänomen soll es hier gehen. Da kommt einer daher und weiß von sich, dass er im tiefsten Herzen Schriftsteller ist, Autor. Er hat schon viel geschrieben. Großartig! Nur schreibt er im Moment nicht. "Scheiße!", denkt er, "was ist mit mir falsch?". Und schon ist die Panik perfekt.
Wieso neigen wir eigentlich dazu, aus den Dingen so schnell ein Dogma zu machen? Wieder stülpen wir uns eine Rolle über, wo wir doch gerade dabei sind, all die Rollen abzustreifen. Meistens war sogar der Weg in die Berufung, das Abstreifen einer Rolle. Wir wollten zum Beispiel raus aus dem Hamsterrad in der Wirtschaft. Rein in die Freiheit. Juhu! Endlich Schriftsteller sein und das leben, davon leben. Und zack hängen wir drin in der nächsten Rolle, im nächsten Gefängnis. Wir haben eine genau Vorstellung davon, wie das auszusehen hat. Ein Schriftsteller sitzt tagein tagaus am Laptop und schreibt wie verrückt, macht Nächte durch, weil es einfach nur so sprudelt. Der Rubel muss rollen. Man muss davon leben können, sonst ist man kein richtiger Schriftsteller.
Und dann kommt eine Phase, da hat dieser Schriftsteller mal keine Lust zu schreiben. Und jetzt? Alarm auf allen Ebenen. Was läuft denn da nur falsch? Warum schaffe ich es nicht, meine Berufung zu leben? Warum schreibe ich nur nicht?
Hallo? Merkt ihr was? Diesen Schuh haben wir uns selbst angezogen. Wir können ihn auch wieder ausziehen.
Ja, ich schreibe viel im Moment. Ja, ich habe tatsächlich auch schon ein Buch geschrieben. Bin ich deswegen Schriftstellerin? Gerade jetzt, vielleicht. Aber generell? Es ist ein Teil von mir. Ein Ausdruck dessen, was mich ausmacht. Manchmal bin ich Fotografin, manchmal Künstlerin und male. Manchmal bin ich Coach und manchmal bin ich Speakerin und rede über meine Themen. Manchmal bin ich Putzfrau, manchmal Köchin. Manchmal bekommt die Seminarleiterin in mir ihre Bühne und manchmal der Clown. Mal bin ich Furie, mal die ganz Stille und will mit niemandem sprechen. All das sind Facetten von mir. Ich bin all das. Immer. Nur kommt nicht immer alles gleichzeitig zum Ausdruck.
Alles in allem bin ich ich. Immer. Ich bin Mensch. Ich bin bunt. Manchmal kenne ich mich. Manchmal lerne ich mich ganz neu kennen. Entdecke einen weiteren Aspekt von mir. In jedem Moment bin ich aber vor allem eines: richtig!
Es ist der Tod jeden Fortschritts, jeder Entwicklung, wenn wir glauben etwas oder jemanden zu kennen. Wenn wir festlegen, dass wir jetzt dies oder jenes sind, dann hat plötzlich so vieles keinen Raum mehr, dann kann so vieles nicht mehr entdeckt werden. Dann ist auch so vieles falsch, weil das eben nicht zu dieser Rolle gehört, zu diesem Bild, das wir davon haben.
Dann kann es passieren, dass wir uns die größte Leidenschaft vermiesen, dass das Leuchten aus unseren Augen verschwindet, weil wir uns auf einmal dazu zwingen, auch wenn wir gerade keine Lust darauf haben. Oder wir vermiesen uns die Leidenschaft, weil sie plötzlich zum Beruf ernannt wurde und Geld abwerfen muss. Auch nicht viel besser.
Macht die Käfigtür wieder auf. Lasst euch die Freiheit, ALLES zu sein und zu tun. Hört auf, euch in Rollen zu zwängen und schaut mal, was sich entfaltet, wenn plötzlich wieder Platz da ist. Erlaubt euch, bunt zu sein.
Foto: Canva Text und Gestaltung: Anja Reiche |