Sonntag, 3. März 2019

Beziehung 2.0


In so vielen Partnerschaften fliegt gerade der Hut. Da finden Neusortierungen statt. Das, was bisher gelebt wurde, funktioniert irgendwie nicht mehr.

Die Illusion von steter Harmonie bricht weg. Zeiten der falschen Rücksichtnahme sind vorbei. Es knallt. Alles, was bisher unausgesprochen war, kommt hoch. Es geht gar nicht mehr anders, als dass die Partner anfangen gnadenlos ihre Wahrheit zu sprechen, auch wenn das den anderen in seine tiefsten Tiefen stürzt.

Genau das ist jetzt dran. Die Wunden können nicht mehr umschifft werden. Unsere eigene Wahrheit kann nicht mehr verdrängt werden. Dem anderen zuliebe etwas tun, was uns gar nicht entspricht, geht nicht mehr. Entweder meine ich das, was ich tue und sage ernst, oder es hat keinen Bestand.

Wenn zwei Menschen anfangen, rigoros zu sich selbst zu stehen, dann kommt es unweigerlich zu Reibung. Dann kommt es aber auch unweigerlich zu Heilung. Wenn wir den Mut haben, unsere Wahrheit zu sprechen, auch auf die Gefahr hin, dass das das Ende der Beziehung bedeutet, dann sind wir wirklich in unserer Größe. Eine Beziehung, die nur bestehen kann, weil ich einen Teil von mir verleugne, ist sowieso nicht echt, sie basiert auf einer Lüge, meiner Lebenslüge.

Mann und Frau erheben sich. (Verzeiht mir, dass ich hier ganz klassisch unterwegs bin, das ist gerade mein Auftrag und soll nicht heißen, dass jede andere Form von Beziehung davon nicht betroffen ist, ich hab da nur keine Ahnung von.) Wir kommen nicht mehr an uns selbst vorbei. Alles, was nicht in der Liebe zu uns selbst ist, sprengt weg.

Diese Treue, von der immer die Rede ist, "man soll dem anderen treu sein", "man soll in einer Beziehung treu sein" gilt in Wahrheit uns selbst. Beziehung, Partnerschaft kann nur funktionieren, wenn ich MIR treu bin. Ich muss niemand anderem treu sein. Nur mir, immer, radikal. Wenn beide Partner SICH treu sind, dann kann man sich begegnen, dann kann man schauen, wer da wirklich ist und entscheiden, ob man damit leben kann und möchte. Alles andere zieht Entscheidungen aufgrund falscher Tatsachen nach sich. Alles andere ist Schauspiel.

Diese Zeit, in der wir gerade sind, duldet kein Schauspiel mehr. Diese Zeit fordert Echtheit und wenn hier überhaupt ein Eheversprechen eingegangen wird, dann doch bitte eines mit sich selbst. Ich kann die Hochzeit mit mir feiern. Ich kann mir versprechen, dass ich mich achte und ehre, dass ich zu mir stehe, in guten wie in schlechten Zeiten, dass ich mir treu bin, bis dass der Tod uns scheidet (mich und meinen Körper). Das ist alles, was ich wirklich versprechen kann und das ist auch alles, was ich dem Partner versprechen kann. Alles andere ist nicht das Gebot der Stunde.

Wir dürfen Beziehung und Partnerschaft echt neu definieren. Wir betreten Neuland. So sehr viele vor uns haben das noch nicht gemacht, noch nicht gelebt. Das heißt, es gibt fast keine Erfahrungswerte. Wir dürfen ausprobieren, spielen, eigene Erfahrungen sammeln. Und vor allem dürfen wir den Krieger und die Kriegerin entfesseln. Die Anteile in uns, die rigoros für uns einstehen.

Es darf Streit geben in einer Beziehung. Und damit meine ich nicht den Kinderkram, in dem es um alte Bedürftigkeit geht. Ich meine den Streit, der dazu dient, seine Wahrheit zu vertreten, dem anderen die Stirn zu bieten, weil es um die Liebe zu mir selbst geht. Das meine ich. Nicht einfach nachgeben, um des lieben Frieden Willen, sich nicht überbügeln lassen. Nur weil ein Sturm weht, muss ich nicht einknicken. Ich darf im Sturm stehen bleiben und selber Wind machen. Das klärt. Das heilt.

Beziehung 2.0 ist für mich, wenn sich beide in ihrer wahren Größe begegnen. Das ist nicht immer bequem, aber ehrlich und aufrichtig.

Foto: pixabay
Text und Gestaltung: Anja Reiche