Dienstag, 19. März 2019

Wir haben immer eine Wahl!


Kürzlich hatte ich eine sehr interessante und für mich sehr selten gewordene Erfahrung. Ich sah mich plötzlich in einer Diskussion in großer Runde über faire und unfaire Arbeitgeber. Ich sag es gleich vorweg: Es waren nicht viele Menschen anwesend, die mein Weltbild teilen. 🙈

Wie ich halt so bin und denke, habe ich gesagt, dass es den "unfairen" Arbeitgeber an sich eigentlich gar nicht gibt. Es mag miserable Arbeitsbedingungen geben, unmenschliches Verhalten und gleichzeitig treffen jeden Tag die Mitarbeiter die Entscheidung da wieder hinzugehen. Sie wählen, dass sie das mit sich machen lassen. Wieder und wieder und wieder. Es gibt ja immer die, die machen und die, die es mit sich machen lassen. Für mich gibt es da nicht DEN Schuldigen. Da spielen zwei Seiten mit.

Naja, wie es zu erwarten war, hat es nicht lange gedauert und es kam das Killerargument überhaupt: "Ich muss da ja hin, ich brauch das Geld. Einen anderen Job finde ich nicht, dafür bin ich zu alt." Eigentlich sind das ja schon zwei Killerargumente. Das Geld und das Alter. Kernaussage bleibt aber die gleiche, nämlich: "Ich habe keine Wahl." Leider flogen dann weitere Beispiele von Lebenssituationen, in denen man augenscheinlich keine Wahl hat, nur so durch den Raum und ich hatte keine Gelegenheit mehr - und auch keine Lust - da näher drauf einzusteigen und mal genauer hinzuschauen.

Deswegen tue ich das jetzt hier. Dieses Thema kommt nämlich wahrscheinlich sehr vielen sehr bekannt vor, gerade denen, die eher alternativ denken und sich öfter in solchen Debatten wiederfinden und vielleicht auch untergehen. Ich liefer euch jetzt mal ein paar "Gegenargumente".

Einen ungeliebten Job machen zu müssen, weil man das Geld braucht, ist aus meiner Sicht eine Illusion. Ja, Geld erleichtert in unserem System das Leben enorm. Nur weil ich aber meinen Job kündige, ohne einen neuen zu haben, dann vielleicht arbeitslos bin und weniger Geld bekomme, heißt das aber nicht, dass ich KEIN Geld habe. Ich habe dann weniger Geld.

Das Problem ist, dass ich glaube, mit weniger Geld nicht leben zu können. Ich will meinen Lebensstandard unbedingt halten. Da liegt der Knackpunkt. Ich hätte die Möglichkeit zu kündigen. Ich hätte die Möglichkeit, einen ganz anderen Job zu machen, vielleicht außerhalb von meinem eigentlichen Beruf. Ich hätte die Möglichkeit umzuziehen. Ich hätte die Möglichkeit, mich arbeitslos zu melden. Ich hätte die Möglichkeit, andere Menschen um Hilfe zu bitten, nach Geld zu fragen. Ich hätte die Möglichkeit, das Haus zu verkaufen und in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Ich hätte sogar die Möglichkeit, auszuwandern und in einer Höhle zu leben, wie Stefan Hiene das einst gemacht hat. Ich könnte im Wohnwagen leben, im Tiny-Haus oder in einer WG. Ich könnte Versicherungen kündigen, das Auto verkaufen und generell die Lebenshaltungskosten auf ein Minimum senken. Es gibt unzählige Menschen, die mit sehr wenig Geld auskommen. Es gibt Menschen, die komplett ohne Geld auskommen.

Das Entscheidende ist, ob ich dazu bereit bin. Es gibt soooo viele Alternativen, so viele Möglichkeiten. Nur will ich die nicht. Der Arbeitgeber (die anderen) soll gefälligst dafür sorgen, dass es mir besser geht. Wenn der nur anders wäre, wenn ich nur jünger wäre, wenn die Welt nur nicht so ungerecht wäre, dann ginge es mir besser. So zu denken, ist ein Gefängnis. Ich bin komplett in der Ohnmacht. Wenn die anderen für mein Wohl zuständig sind, habe ich wirklich keine Wahl. Fakt ist aber, dass niemand für mich zuständig ist. Niemand ist dafür verantwortlich, dass es mir besser geht. Dafür darf ich selbst sorgen.

Indem ich mich dafür entscheide, dass ich meinen ungeliebten Job behalte, weil ich das Geld will, habe ich eine Wahl getroffen. Ich will meine Komfortzone nicht verlassen. Und dann darf ich aufhören zu jammern. Es ist meine Entscheidung.

Wenn ich die Dinge wirklich in die Hand nehmen will und mein Leben zum besseren verändern will, würde das bedeuten, dass ich meine Komfortzone verlassen muss. Es könnte unbequem werden. Niemand sagt, dass das einfach wird. Die Leute könnten reden. Ich könnte krumm angeschaut werden, verurteilt. Ich falle aus der Norm. Ich bin plötzlich anders als die meisten. Und vor allem, falle ich meiner eigenen Verurteilung zum Opfer, meinem eigenen Wertesystem.

Wer bin ich denn, wenn ich mich arbeitslos melde? Wer bin ich, wenn ich um Hilfe bitte? Wer bin ich, wenn ich nach Geld frage? Wer bin ich, wenn ich planlos bin, wenn ich vielleicht gar nicht weiß, was ich stattdessen will oder am liebsten sogar ganz aus dem herkömmlichen System austeigen will? Wenn ich es leicht haben will? Darf ich das? Macht "man" das?

Da liegt der Hase im Pfeffer. Wenn ich aus der Komfortzone rausgehe, wenn ich aus der Opferhaltung rausgehe, wenn ich aufhöre, anderen die Schuld für meine Umstände in die Schuhe zu schieben, dann muss ich mir selbst begegnen. Dann muss ich mich mit mir selbst auseinandersetzen. Und das ist echt unbequem. Da gibt es so einiges zu fühlen.

Generell deutet die Wahrnehmung, dass ich in Sachen Job keine Wahl habe, ziemlich krass darauf hin, dass ich mir das Thema Ohnmacht mal anschauen darf. Dieses Gefühl habe ich dann wahrscheinlich nicht nur diesbezüglich. Dieses Gefühl läuft mir dann wahrscheinlich auch immer wieder in anderen Situationen über den Weg. Ich fühle mich immer wieder ungerecht behandelt, übervorteilt, benachteiligt, verkannt, nicht gesehen, nicht wertgeschätzt, flippe aus, wenn es andere scheinbar leichter haben als ich, wenn sich andere nicht so anstrengen müssen, wo ich es doch so schwer habe. Die Jobsituation ist nur das Symptom. Die Wurzel des Ganzen liegt wo anders.

Eins muss klar sein, die äußeren Umstände sind tatsächlich nie wirklich das Problem. Was es mit mir macht, ist entscheidend und was ich daraus mache. Da kann ich immer ansetzen. Da habe ich immer Handlungsmöglichkeiten und da, in meinem Inneren, bei meinen Gefühlen, bei meinen Überzeugungen, in meiner Art zu denken, bei meinem Glauben, wie die Welt ist, ist auch der einzige Ort, an dem ich die Lösung finde. Für alles! Und da bin ich auch kein Opfer mehr, sondern Schöpfer.

Die Wahrheit ist, ich habe immer eine Wahl und wenn ich nur wähle, wie ich mit dem Unabänderlichen umgehen möchte.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche