Donnerstag, 14. März 2019

Über die Überheblichkeit


Mit diesem Thema durfte ich mich auf meinem Weg schon des öfteren beschäftigen. Gerade wenn man sich mit der Wahrnehmung von Dingen befasst, die eben nicht greifbar, sichtbar, beweisbar sind, kommt schnell die Frage auf: Bin ich jetzt überheblich, weil ich dem anderen Sachen über sich sage, die er vielleicht gerade nicht in Worte fassen kann? Weiß ich es jetzt besser als er? Ist das jetzt anmaßend, wenn ich äußere, was ich wahrnehme und wie ich glaube, fühle, dass die Dinge gelagert sind? Kann ich jetzt einfach daherkommen und ihm auf den Kopf zu sagen, wo der Hase im Pfeffer liegt?

Eins ist mir auf diesem Weg schon länger klar, wenn sich jemand überhaupt die Frage stellt, ob er überheblich ist, dann ist er es meistens eh nicht. Schon alleine in der Lage zu sein, sich diese Frage zu stellen, zeigt, dass man reflektiert und sich selbst hinterfragt. Das nur mal am Rande...

Weil das Thema im Moment wieder allgegenwärtig scheint, wollte ich nochmal tiefer einsteigen.
Heute habe ich das Wort "Überheblichkeit" tatsächlich mal nachgeschlagen. Was macht denn nun Überheblichkeit aus? Es geht vor allem darum, dass der Mensch, der sich überheblich zeigt, sich über andere stellt, es besser weiß, dahingehend, dass er andere Meinungen nicht akzeptieren kann, andere erniedrigt, damit er sich größer fühlt. Um das Selbstwertgefühl von solchen Menschen ist es meist nicht gut bestellt. Dieses Verhalten dient häufig dazu, die eigene, gefühlte Unzulänglichkeit zu kaschieren. Aha, interessant.

Und wie ist das jetzt bei mir?

1. Ich stelle fest, an Selbstwertgefühl mangelt es mir schon mal nicht.

2. Ich brauche es nicht, andere zu erniedrigen, ganz im Gegenteil, mir ist daran gelegen, ihnen ihre Größe zu zeigen.

3. Nur weil ich meine Wahrheit spreche, hinspüre und sage, was ich fühle, heißt das nicht, dass ich überheblich bin. Ich spreche nur für mich. Der andere darf eine ganz andere Wahrnehmung haben. Beides ist richtig. Ich bin in der Lage, und das gerade in Coachings, eine Fährte, eine Idee sofort wieder fallen zu lassen, wenn ich merke, dass es der andere gerade überhaupt nicht nehmen kann, es nicht andockt sozusagen. Deswegen ist meine Wahrheit nicht falsch. Wir haben gerade nur nicht die gleiche und in der Arbeit mit Menschen geht es vor allem darum, deren Wahrheit zu finden, nicht meine. Ich gehe mit ihnen auf Entdeckungsreise.

4. Außerhalb von Coachings hab ich diese meine feine Wahrnehmung natürlich trotzdem. Das bin ich einfach. Das kann und will ich nicht abspalten oder ausblenden. Ich sehe Themen und gleichzeitig habe ich nicht den Anspruch, diese immer auszusprechen. Wenn ich das dann doch tue, spüre ich vorher hin, ob das gerade meine Aufgabe ist. Wenn nicht, bin ich still. Hier gilt es weise zu handeln. Hört sich gut an, oder? Gelingt mir aber nicht immer. Dann höre ich mich reden, obwohl ich mir gerade gesagt habe, dass ich die Klappe halten sollte.

5. Im Laufe der Zeit habe ich mir erlaubt, auch überheblich sein zu dürfen. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, es besser zu wissen als der andere. Gerade in meiner Partnerschaft passiert mir das wieder und wieder. Lange habe ich mich dafür verurteilt und gescholten. Irgendwann dachte ich mir, dass das ja auch nichts bringt. Aus dem Widerstand heraus gibt es nun mal keine positive Veränderung. Das alte Lied... Ja, manchmal bin ich überheblich. Ich bin ein Mensch. Und das darf so sein. Es gibt ja schließlich auch immer noch mein Gegenüber, das mich dann wirklich gerne darauf hinweisen darf. Und das bringt mich zum nächsten Punkt.

6. Hier hat mir meine Freundin Silvia vorhin den entscheidenden Wink gegeben. Danke dafür!!! Ob ich mich nun absichtlich oder unabsichtlich über andere stelle, eins ist entscheidend: Das geht nur, wenn es der andere mit sich machen lässt. Und schon ist da die ganze Tragik draußen. Schon brauch ich nicht mehr groß überlegen und jedes Wort auf die Goldwaage legen, übertrieben vorsichtig sein. Ich kann nur Täter sein, wenn der andere bereitwillig die Opferrolle übernimmt. Wenn meine Größe, meine Wahrheit alleine dazu ausreicht, dass sich der andere klein fühlt, dann liegt das nicht in meiner Hand. Und ich bin weiß Gott achtsam und feinfühlig und gleichzeitig manchmal auch die Dampfwalze. Mensch eben. Wichtig ist, dass ich bei mir bleibe.

7. Betrachten wir mal die umgekehrte Situation. Wann erlebe ich Menschen als überheblich? Ganz ehrlich? Gar nicht mehr. Zumindest nicht in Bezug auf mich. Wenn jemand mir gegenüber seine Wahrheit spricht oder mich kritisiert, dann reflektiere ich, prüfe die Kritik darauf, ob ich mir etwas davon annehmen möchte. Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist das nicht der Fall. Mit jeder Kritik, mit jeder Wahrheit von anderen legt mir jemand einen Stift hin und ich kann entscheiden, ob ich ihn zu meinem mache und einstecke oder ob ich ihn einfach liegen lasse. Ist der andere deswegen überheblich? Nein. Weil ich ihn nicht dazu mache. Damit Überheblichkeit möglich wird, braucht es immer zwei. Den, der sich in seiner Größe zeigt (ob gespielt oder echt ist erstmal egal), mit seiner Wahrheit zeigt und den, der sich daneben klein macht oder fühlt. Bleiben beide in ihrer Größe, mit ihrer Wahrheit, stehen da einfach zwei Große. Fertig.

Und mein Fazit? Ich bin ein Mensch. Ich bin bunt. Ich bin ALLES und von allem auch das Gegenteil. Ich bin nicht hier, um perfekt zu sein. Ich bin hier, um Erfahrungen zu machen. Überheblichkeit hin oder her, letztlich ist es einfach eine Erfahrung.

Vielleicht hat euch mein Exkurs ein wenig geholfen. Vielleicht aber auch gar nicht oder vielleicht sogar getriggert. Man weiß es nicht. Auf jeden Fall ist das meine aktuelle Sicht der Dinge und die kann morgen schon wieder ganz anders sein.
 
Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche