Die Grundvoraussetzung für eine intakte, tiefe, wahrhaftige Beziehung ist, dass mein Nein vom anderen zu jedem Zeitpunkt akzeptiert wird. Ob Freundschaft oder Partnerschaft, Nachbarschaft oder die Beziehung zwischen Eltern und Kind, ist dabei ganz egal. Ist es nicht sichergestellt, dass mein NEIN respektiert, wird es nie zu einer kompletten Öffnung von mir und wirklichen Begegnung zwischen den Beteiligten kommen. Es wäre quasi Selbstmord im weitesten Sinne, zumindest aber Selbstzerstörung.
Meine Grenzen müssen gewahrt werden. Damit meine ich nicht, dass ich dem anderen Grenzen auferlege und ihn begrenze, sondern dass ich ihm meine Grenzen zeige. Bis hierhin und nicht weiter! DAS will ich und DAS will ich nicht.
Es ist ein Unterschied, ob ich sage: "Du sollst das und das nicht tun", ohne einen Bezug zu mir selbst herzustellen, ohne deutlich zu machen, warum mir das wichtig ist und damit dem anderen einfach etwas verbiete, oder ob ich sage: "Ich möchte nicht, dass das mit mir geschieht" und ich damit ganz klar meine Grenzen zum Ausdruck bringe. Ich bekunde meinen Willen. Ich mache eine Aussage darüber, was ich will und was nicht.
Ein NEIN einem anderen gegenüber ist immer ein JA zu mir selbst.
Nun erleben es viele immer wieder, dass sie zwar ganz klar NEIN sagen, aber andere dieses NEIN einfach übergehen. Dann kommt die Ohnmacht, die Wut, das Gefühl, ja doch nichts bewirken zu können. Und dann? Was machen wir nun in solchen Situationen?
Ich hab gestern etwas in mir entdeckt. Einen Saboteur quasi, der klammheimlich mein NEIN untergraben hat und wieder die Tür für Übergriffe aufgemacht hat. Ich selbst habe mein NEIN nicht wirklich akzeptiert.
So sehr wünschen wir uns, dass andere endlich unser NEIN akzeptieren und unsere Grenzen wahren, uns nicht einfach übergehen und endlich respektieren, dass wir gewisse Dinge nicht wollen. Und wir selbst? Respektieren wir selbst, dass wir dieses NEIN in uns fühlen? Erlauben wir uns, so zu empfinden? Dürfen wir wirklich den Kontakt zu alten Freunden abbrechen? Dürfen wir wirklich keine Lust haben Mama oder Papa zu sehen? Dürfen wir wirklich dem Partner signalisieren, dass wir ihn jetzt gerade nicht küssen wollen, dass wir lieber alleine schlafen wollen, dass wir im Moment keine Lust auf Sexualität haben? Dürfen wir?
Dieser kleine Saboteur in mir, ein inneres Kind, hatte mal wieder Bedenken, dass es schlimm mit uns enden könnte, wenn der Kontakt zur Mama tatsächlich komplett weg ist. Früher hätte das ja wirklich den sicheren Tod bedeutet. Wenn der Kontakt zu den Versorgern abgebrochen worden wäre, wäre ich verhungert. Diese Existenzangst war noch da.
Es ist für meine Begriffe einer der Hauptgründe, warum wir uns oft nicht trauen, ein klares NEIN auszusprechen. Es könnte bedeuten, dass wir verlassen werden, ausgestoßen, nicht mehr zur Gruppe gehören, die uns immer Schutz und Sicherheit im weitesten Sinne geboten hat, unser Überleben gesichert hat. Was wären wir ohne Eltern? Ohne Freunde? Ohne Partner? Und gerade als Frau ohne Mann - den Versorger - so wie es in vielen noch im Zellbewusstsein abgespeichert ist, auch wenn das faktisch gar nicht mehr stimmt?
Die Frage war für mich also nicht, warum meine Mama mein Nein nicht akzeptiert und wie ich es endlich schaffe, dass das so ist. Die Frage war: Akzeptiere ich selbst mein NEIN? Erlaube ich mir, aus der Verbindung zu gehen? Hält noch irgendetwas in mir fest? Ist da noch ein Zweifler? Eine Angst? Eine Befürchtung?
Ja, da war dieses kleine Mädchen, das nicht wirklich loslassen wollte. Nur nicht ganz abbrechen, das könnte unser Ende bedeuten. Dem kleinen Mädchen hab ich gestern gesagt, dass das nicht mehr stimmt mit dem Verhungern und Verkommen. Das Leben selbst trägt und nährt uns. Es braucht diese Beziehung nicht für unser Überleben. Wir dürfen NEIN sagen. Ich darf es mir endlich komplett erlauben und ich werde nicht sterben.
Mir war nicht klar, dass da noch sowas in mir wirkt. Mir war nur klar, dass ich irgendwas damit zu tun habe, dass da scheinbar immer noch irgendwo eine Tür offen ist, die über meine Grenzen führt.
Grenzüberschreitungen im Erwachsenenalter passieren niemals einfach so, ohne unser "Zutun", ohne eine Entsprechung in uns - das zumindest ist meine tiefste Wahrheit. Grenzüberschreitungen sind nur möglich, wenn wir selbst die Tür aufmachen und die anderen bereitwillig in unser heiligstes Inneres lassen, genau mit solchen kindlichen Befürchtungen und Bedürfnissen, die längst nicht mehr der erwachsenen Wahrheit entsprechen.
Ich darf NEIN sagen. Ich darf aus Beziehungen gehen. Ich darf meine Grenzen haben. Ich darf Abneigung empfinden und diese äußern. Ich darf gut für mich sorgen und alle Menschen aus meinem Umfeld verbannen, die mein Nein nicht akzeptieren. Ich darf all das. Ja, das Leben will sogar das von mir. Ich darf Hochachtung vor mir selbst haben und mich selbst respektieren. Ich werde dafür nicht bestraft sondern viel mehr vom Leben selbst mit der gleichen Hochachtung behandelt.
Wie innen so außen. Es ist doch immer wieder das Gleiche. 😉
Und? Akzeptierst und erlaubst du dir selbst dein NEIN?
PS: Glaubst du, ohne die Regierung und diesen sogenannten Sozialstaat überleben zu können?
Foto: Canva Text und Gestaltung: Anja Reiche |