Samstag, 6. April 2019

Das "Luxusproblem" Selbstfindung

Wo kämen wir denn hin, wenn plötzlich nur noch jeder machen würde, was ihm gefällt?

Ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage im Laufe meines Lebens und vor allem im Laufe meiner "Selbstfindung und Selbstverwirklichung" über den Weg gelaufen ist.

Wieso kommen so viele so schnell zu dem Schluss, dass dann alles zusammenbrechen würde? Wieso gehen wir davon aus, dass dann nur noch Sodom und Gomorra herrschen würde, dass plötzlich alle Firmen leer wären, niemand mehr zur Arbeit ginge, das komplette System zusammenbrechen würde? Ich kann es wirklich nicht nachvollziehen.

Man muss sich mal überlegen, was hinter all diesen Horrorszenarien für eine Grundüberzeugung liegt: Alles, was getan werden "muss", damit wir einkaufen können, damit der Müll beseitigt wird, damit öffentliche Toiletten sauber sind, tun Menschen ungerne. Wir nehmen an, dass dann ganz vieles liegen bleiben würde, weil das keiner mehr machen will. Wir gehen davon aus, dass man Menschen dazu zwingen muss, sowas zu tun. Und wenn es nicht wenigstens ein paar "Vernünftige" geben würde, die die Zähne zusammenbeißen und eben nicht so egoistisch sind, nur an sich zu denken, dann sähen wir alt aus, dann gäbe es den großen Crash.

Ich bin immer wieder erstaunt über solche Ansichten. Wieso glauben wir so sehr, dass man "vernünftig" sein muss, dass Freude zu nichts als Ärger führt, dass Menschen es "ausnutzen" würden, wenn man sie "frei" lassen würde? Und das dickste Ding ist, die die solche Befürchtungen äußern, sind selbstverständlich die "Vernünftigen", die das nur von den anderen befürchten. Sie selbst würden ja ihren Beitrag selbstverständlich leisten, aber die anderen... Da kann man sich halt nicht drauf verlassen. Da muss schon Zucht und Ordnung herrschen. Für die anderen muss es Regeln geben. So krass, das immer wieder zu beobachten.

Jeder will hier seinen Beitrag leisten, aber so wie es ihm liegt und nicht so wie er muss. Niemand will hier eigentlich zu etwas gezwungen werden, was er nicht tun will. Jeder will im Prinzip die Freiheit haben, dass zu tun, was er liebt. Warum sollte das in den Ruin führen? Warum kann es nicht sein, dass sich das Universum etwas dabei gedacht hat, uns so unterschiedlich zu machen und sich das alles von alleine sortieren und regeln würde, weil hier jeder seinen Platz hat. Weil hier jeder gebraucht wird und zwar so, wie er gedacht ist und nicht so, wie andere meinen, dass er zu sein hat.

In der Natur braucht es auch keinen Chef, der sagt, welcher Vogel welches Lied zu pfeifen hat. Niemand sagt dem Gras, dass es jetzt zu wachsen hat. Das passiert alles von alleine, aus einer höheren Intelligenz heraus. Jeder von uns hat komplett unterschiedliche Neigungen, Gaben, Talente, Vorlieben. Nicht alle, werden dann plötzlich Coach oder liegen den lieben langen Tag in der Hängematte. Wir sind so bunt, jeder tut was anderes gerne, dass sich das ganz automatisch neu sortieren würde. Es würden nur noch die Brot backen, die es lieben Brot zu backen. Es würden nur noch die im Büro arbeiten, die es absolut lieben, diese Arbeit zu machen.

Viele trauen der Gattung Mensch (sich selbst immer ausgenommen) diese höhere Intelligenz nicht zu. Viele trauen der Natur, von der wir nun mal Teil sind, nicht zu, dass sie sich selbst regelt.

Ich sag euch was: Ich traue jedem Menschen das Beste zu. Ich traue jedem zu, dass er sein höchsten Potential entfalten würde, wenn man nur an ihn glaubt und ihn lassen würde. Jeder würde aus meiner Sicht seinen Teil beitragen, wenn die Herzen geheilt wären, die inneren Kinder gesättigt, wenn wir uns gegenseitig beflügeln würden statt beschneiden, wenn wir uns alle wachsen sehen wollten.
Und das alles kann nur passieren, wenn sich jeder erstmal um sich selbst kümmert, wenn jeder erstmal bei sich schaut, seine Wunden heilt und die komplette Verantwortung für sich und sein Leben zurück zu sich selbst nimmt. Dann kann diese Welt funktionieren.

Wenn jeder das Luxusproblem "Selbstfindung" lösen würde, hätten wir ganz viele Alltagsprobleme nicht mehr und zwar die wirklich grundsätzlichen.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche