Sonntag, 21. April 2019

Ich erlaube mir den Stubenhocker in mir

Ich halte mich in meiner Verletzlichkeit und Zartheit. Ich will nicht raus in die Sonne. Ich will nichts tun. Ich will mich auf dem Sofa einrollen und mich selbst umarmen, mich wiegen, mir Nähe, Geborgenheit und tiefstes Verständnis entgegen bringen. Mitgefühl, Freundlichkeit. Ich gebe mir diesen Raum.

Ich erlaube mir meine Weichheit. Ich erlaube mir, mich bei diesem herrlichen Frühlingswetter im Haus zu vergraben und zu weinen. Ich brauche dieses Haus der Heilung gerade, diesen Rückzugsort, meine Höhle, den Schutz, den es mir bietet.

Am Freitag war ich kurz spazieren und plötzlich hatte ich Heimweh, richtig Heimweh. Ich wollte einfach nur nach Hause.

Gefühlt geht es bei mir gerade darum, mir meine Sensibilität rückwirkend zu erlauben, das große Bedürfnis nach Rückzug, nach sein, nach dasitzen und Nichtstun. Da ist dieses kleine Mädchen in mir, dem immer gesagt wurde, dass es raus soll bei dem schönen Wetter. Ich wurde als Stubenhocker bezeichnet, als "daaber Johann" (fränkische Bezeichnung für einen laschen Typen, der nichts zu Wege bringt, saft- und kraftlos ist).

Ich hab schon immer super viel gelesen, saß lieber da und hing meinen Gedanken nach, als raus zu gehen und mich körperlich anzustrengen. Selbst wenn ich krank war, schlapp und entkräftet, wurde ich an die frische Luft geschickt. Das würde mir angeblich gut tun. Wenn mir kalt war, wurde mir gesagt, ich soll raus und mich bewegen, das käme vom Rumsitzen. Nix da mit Decke einkuscheln und Tee trinken. Keine Gemütlichkeit. Rausgehen, machen, machen, machen.

Ich glaube dieses Heimweh, das ich vorgestern hatte, hatte eine tiefere Bedeutung. Ich hatte Heimweh nach mir. Ich brauche meine eigene Erlaubnis, bei dem schönen Wetter drin bleiben zu dürfen. Ich brauche das zu Hause in mir. Ich brauche mein Verständnis für mich selbst und für diesen Wesenszug, für diese Vorlieben.

Also halte ich dieses Mädchen von damals, nehme es in den Arm und lass sie sein. Im Haus. Wann immer sie das will und braucht. Ich erlaube ihr alles, was ihr gerade gut tut. Ich erlaube ihr, ein Stubenhocker zu sein, ein Schwächling ohne Muckis, der nicht anpacken kann. Ich erlaube es mir radikal, auch körperlich schwach zu sein, schnell erschöpft zu sein, keinen Sport zu machen, dazu auch gar keine Lust zu haben. Ich erlaube es mir, bequem zu sein, empfindlich, sentimental, sensibel, zerbrechlich, zart. Ich erlaube mir Gemütlichkeit. Ich erlaube mir Gemächlichkeit. Ich erlaube mir, dass ich mich nicht anstrengen will.

Ich entlasse den eigenen inneren Antreiber und lasse mich sein, mit allem. Ich nehme alle Urteile zurück und erlaube mir diese Seite an mir, die ich damals nicht leben durfte. Ich bin jetzt für mich die liebende, verständnisvolle Erwachsene, die ich früher gebraucht hätte. Ich nehme mich an. Ich nehme mich bei strahlendem Sonnenschein auf dem Sofa in den Arm und halte mich selbst. Ich will sein gelassen werden. Ich lasse mich selbst sein.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche