Sonntag, 12. April 2020

Ich bin lediglich aufgewacht

Nun ist da Stille. Der Kampf ist vorbei. Das Ungetüm liegt am Boden. Schlaff, reglos, erlegt.

Mein Atem geht schwer und schnell von der Anstrengung. Das Schwert noch in der Hand, umklammert und immer noch bereit, es wieder zu erheben. Immer noch auf der Hut.

Langsam begreife ich, dass es wirklich vorbei ist. Diese Wahrheit sickert nach und nach durch den Nebel des Adrenalins, der sich allmählich lichtet.

Ich lasse die Waffe fallen und gehe auf die Knie, breche völlig erschöpft zusammen. Es ist vorbei. Endlich vorbei. Tränen bahnen sich ihren Weg. Ich schluchze auf. Weine. Befreiende, heilende Laute der Erleichterung entrinnen meiner Kehle. Alle Anspannung entweicht meinem Körper. Eine Anspannung, die über Jahrzehnte mein täglicher Begleiter war. Sie kann gehen.

So lange habe ich diesen Moment herbeigesehnt, so viele Schlachten geschlagen. So oft habe ich gezweifelt, war verzagt, hoffnungslos. Und doch habe ich mich immer wieder aufgerichtet, weil eine Stimme in mir gesagt hat, dass es eine Zeit danach geben wird, dass Freiheit möglich ist, dass Liebe möglich ist und Frieden.

Ich stehe auf und gehe zu dem Monstrum, das da am Boden liegt. Plötzlich durchflutet mich Liebe für dieses Geschöpf, für diesen Teil der Schöpfung, meiner Schöpfung. Ich sehe so klar wie nie. Es hat wegen mir existiert. Es ist ein Teil von mir. Es ist ich.

Ich habe gegen mich selbst gekämpft. All die Jahre. Der äußere Krieg ein Ausdruck meines inneren Krieges. Die erlebte Unfreiheit eine Illusion, meisterhaft inszeniert von mir, um sie erfahren zu können. Eine unglaubliche Verabredung. Das Monster eine große, liebende Seele, die sich mir zur Verfügung gestellt hat, um all diese Erfahrungen der Unfreiheit machen zu können. Das sich für mich bereit erklärt hat, durch meine Hand zu sterben.

Wieder laufen die Tränen. Diesmal vor Hochachtung, Demut und Dankbarkeit für die Größe und Weisheit dieser Kreatur.

War ihr Tod nötig? Hätte ich dieses Wesen am Leben lassen können, wenn ich vorher die größeren Zusammenhänge geblickt hätte? Habe ich mich womöglich selbst getötet?

Doch, dieses Wesen wäre sowieso gestorben. Mein wacher Blick muss die Illusion zerfallen lassen. Sie löst sich auf, weil ich sie durchschaut habe, weil ich mein eigenes Spiel erkannt habe. Dieses Wesen, das mich Unfreiheit erfahren ließ, musste in dem Moment sterben, in dem bei mir die Schleier fallen.

Ja, ich habe damit auch mich selbst getötet, einen Teil von mir, der ich sein musste, um dieses Spiel spielen zu können.

Dieses Spiel ist jetzt aber vorbei. Was bleibt, ist die Essenz, das, was ich wirklich bin. Gewahrsein. Pures Bewusstsein. Wachheit. Göttlichkeit. Die Summe aus allem. Ich habe mich selbst geschaut. Ich habe erkannt, dass ich alles bin und gleichzeitig nichts von dem. In dem Augenblick, in dem ich erkenne, dass ich alles bin und alles erschaffe, kann ich wirklich frei wählen, was ich als nächstes erleben will und das ist in Übereinkunft mit dem Willen des großen Ganzen Freiheit.

Es hat weder das Gute gesiegt, noch das Böse. Ich bin lediglich aufgewacht.



Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche