Mittwoch, 13. Mai 2020

Es gibt keine Macht, die über mir steht

Es geht mal wieder darum, im Feuer stehen zu bleiben. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nichts ausmacht, öffentlich angegangen zu werden, als Gefahr gesehen zu werden, als egoistisch betitelt zu werden, ohne dass sich der andere überhaupt die Mühe macht, nach meinen Beweggründen zu fragen, sich überhaupt für mich zu interessieren.

Ich werde beim Einkaufen angepöbelt von einem jungen Mann, der extra deswegen von weiter weg zu mir herkommt. Es geht mal wieder um die nicht vorhandene Maske. Eine andere Frau fühlt sich sofort bestärkt und gibt lautstark zu verstehen, dass sie dem jungen Mann recht geben muss. Aha... Ich stehe da und staune. Wo sind wir da hingekommen, wenn sich Menschen als Verlängerung der Regierung sehen? Sich direkt bedroht fühlen und für Recht und Ordnung sorgen müssen?

Wunderbar, dass sie so genau wissen, wie eine Infektion passiert und auf was es ankommt, wie es richtig geht und wo die Gefahr lauert. Es ginge ums Prinzip wurde mir gesagt. Das wäre eine gesellschaftliche Sache... Aha...

Ich hatte keine Gelegenheit zu sagen, dass ich Ausschlag an Mund und Nase habe, der juckt und brennt, dass ich generell aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen kann, weil mir direkt schwindelig wird. Dass ich meinem Körper diesen psychischen Stress nicht antue, ständig meine warme, verbrauchte Luft einzuatmen. Dass diese Masken mehr Schaden anrichten, als sie Gutes tun. Ich hatte wie immer aus Respekt gegenüber den Menschen, die Angst haben, meinen Schal um und etwas höher gezogen. Mein Kompromiss. Für diese Menschen wohl nicht gut genug.

Ich weiß, dass jegliche Argumentation nichts bringt und dass ich auch niemandem eine Erklärung schuldig bin. Diese Köpfe waren wie vernagelt, die Herzen sowieso. Regiert von der Angst. Das ist aktuell bei vielen so. Sie sind zu, verstopft mit Angst. Verstopft mit einer vorgefertigten Meinung. Es gibt nur eine Wahrheit und alles andere wird nicht zugelassen. Da ist kein Durchkommen. Jedes Wort Verschwendung.

Es geht für mich ums Stehenbleiben. Mal wieder. Einfach stehenbleiben. Eben nicht versuchen, zu überzeugen, verstanden zu werden, recht zu bekommen, zu argumentieren. Eben nicht den anderen zur Einsicht bringen wollen, mich nicht rechtfertigen. Meine Challenge ist es, es genau so sein zu lassen. Den anderen. Mich. Zwei Standpunkte, die grundverschieden sind. Jeder hat das Recht auf den seinen.

Es geht darum, das zu fühlen, was sich da zeigt. Ich spüre den erhöhten Puls, die Stressreaktion in mir, die Verunsicherung, die Überforderung, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet habe. Ich habe es nicht kommen sehen. Da ist das Gefühl, verloren zu sein, in der Unterzahl, unterlegen, allein. Da ist natürlich das Bedürfnis verstanden und gemocht zu werden. Ich darf es aushalten, als Gefahr gesehen zu werden, angeklagt zu werden, ohne gehört zu werden.

Ich fühle, was da ist. Ich lasse alles in mein Herz. Ich stehe da, im Geiste die Arme ausgebreitet und atme die Situation ein, den Groll der anderen, die Bedrohung, die ich gerade bin, die Abneigung, die Verurteilung, die Verachtung, den Hass, die Geringschätzung.

Für diese Situation wurde ich vorbereitet. Auf Facebook, durch ablehnende Kommentare mit einem sicheren Abstand in der virtuellen Welt. Das Ganze jetzt live und in echt, face to face zu erleben ist nochmal eine andere Hausnummer. Next level. Ablehnung von Angesicht zu Angesicht.

Stehen bleiben. Atmen. Fühlen. Erlösen.

Mein Herz sagt mir, dass es für mich nicht um Kampf geht. Gar nicht. Es geht um Annahme von all dem, um die Erlösung. Auch die Ketzer zu erlösen und aus dem Spiel zu entlassen. Und mit all dem trotzdem da stehen zu bleiben in der eigenen Größe, präsent, klar, mit der eigenen Meinung, die mal wieder gegen den Strom ist, den Mainstream. Noch. Denn das wird sich ändern. Ganz bald. Wir sind viele und wir werden immer mehr. Der Umschwung ist bereits passiert. Die Welle rollt und ist nicht mehr aufzuhalten. "Wir sind der neue Mainstream", hab ich letztens bei Veit Lindau gelesen und irgendwie glaube ich, dass er recht damit hat.

Jetzt schon zu mir zu stehen, selbst wenn es aktuell noch bedeutet alleine damit zu sein und mich nicht erst dann zu zeigen, wenn "der neue Mainstream" da ist, das ist die Aufgabe. Sind die, die mich gerade doof finden, wirklich und wahrhaftig eine Bedrohung für mich, ein Hindernis? Stimmt das? Können sie mich wirklich davon abbringen, ich selbst zu sein?

Ich will so sein wie ich bin. Ich darf das den anderen auch zugestehen. Auch wenn das beinhaltet, dass sie mich anpfeifen. Ich darf lernen, es auszuhalten, nicht von jedem gemocht zu werden und gleichzeitig brauche ich deswegen nicht einknicken. Meine Meinung hat den gleichen Wert wie jede andere. Meinungen, die der meinen entgegenstehen, müssen nicht erst verschwinden, damit ich mich leben und zeigen kann.

Es geht um ein sowohl als auch. Es geht darum, dass das, was anders ist, nicht direkt bekämpft werden muss. Andersartigkeit ist keine Bedrohung. Das gilt für beide Seiten und das sage ich gerade vor allem mir selbst. Ich war auch in der Ablehnung gegenüber denen, die wiederum mich ablehnen. Ich erlaube es mir deswegen hier und heute, abgelehnt zu werden. Es ist ok.

Ja, unfassbar viele erleben gerade scheinbar eine Bedrohung durch die "Andersdenkenden", durch den alten Mainstream sogar in Form von Gesetzen, Verordnungen, Zwangsmaßnahmen, Bußgeldern und pöbelnden Mitmenschen. Also so richtig real irgendwie. Und gleichzeitig setze ich genau hier ein Fragezeichen. Stimmt das wirklich? Stimmt es wirklich, dass Menschen, die anders denken, eine Bedrohung sind? Gibt es tatsächlich eine Macht die größer ist als du, als ich? Oder will hier vielleicht endlich etwas aufgelöst und durchschaut werden? Eine Illusion? Eine x-te Wiederholung? Will hier ein altes Spiel endgültig beendet werden? Ich glaube, ja. Es gibt keine Macht, die über mir steht.

Diesen Satz lass ich mir jetzt auch nochmal auf der Zunge zergehen. <3


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche