Mittwoch, 5. Februar 2025

Projektion - Wenn das Licht der Erkenntnis umgeleitet wird

Sie werden kommen, die, die meinen mich verändern zu wollen, müssen, können. Die, die urteilen über mich, mein Handeln, mein Sein. Die, die mir Ratschläge geben oder mich gar retten wollen, mir endlich Licht in mein erbärmliches Dunkel bringen, mich mit ihrer "Weisheit und Erfahrung" beglücken und mir endlich aufzeigen wollen, was ich wo noch nicht verstanden habe.

Sobald ich mich zeige, mein Inneres offenbare, Stellung beziehe, mich greifbar mache, bin ich "angreifbar". Angreifbar im Sinne von anfassbar, griffig, zu fassen. Und auch angreifbar im Sinne von Angriff, angegangen werden. Ich stehe als Projektionsfläche zur Verfügung, bringe Gefühle in anderen in Wallung, biete eine Möglichkeit, das Verdrängte, Verurteilte im anderen durch mich sichtbar zu machen. Nur durch meine Selbstoffenbarung. Ich tue niemandem etwas. Ich bin da und zeige mich.

So ist es gestern wieder geschehen. Mit scheinbar zuckersüßen, wohlgemeinten Worten in allergrößter Gönner-Güte und Weisheit wurde ausgedrückt, dass da was nicht stimmt mit mir und Christian, dass wir auf denjenigen zugehen sollen, wenn wir bereit sind wirklich hinzuschauen.

Es kam aus dem Nichts. Wir stehen mit diesem Menschen in keiner Beziehung. Da war kein Kontakt. Also auch kein Bezug auf eine Situation aus unserem Miteinander, was eine Einladung zur Reflexion total berechtigt hätte. Er bezog sich rein auf das, was ich von mir/uns zeige bzw. was durch Christian von uns sichtbar ist. Wir wurden beobachtet, schon länger und gestern war anscheinend der richtige Zeitpunkt, endlich den entscheidenden Hinweis zu geben, damit wir nicht länger in der Verwirrung da sein müssen.

Ich muss für mich beleuchten, was da läuft. Ich muss es verstehen und durchdringen und ich mag genau das teilen.

Derjenige kommt auf uns zu, ohne dass wir darum gebeten haben und erzählt uns, wir hätten ein „Problem“, bei dem er uns helfen kann. Er lässt nichts davon blicken, was es in ihm ausgelöst hat, was seine Motivation ist, was die Aussage über sich selbst ist. Keine Selbstoffenbarung. Das, was in ihm los ist, wird direkt in eine Handlung umgeleitet, statt das eigene Innenerleben zu erforschen und uns das mitzuteilen.

Er scheint davon auszugehen, dass er in einer Position ist, die ihn berechtigt und befähigt, uns zu „helfen“, endlich die Unstimmigkeiten zu beseitigen.

Christian und ich sind da, blank, nackt, ohne Schutzmauern und offenbaren uns, zeigen, was gerade da ist. Jeden Aspekt. Das hat mit niemandem etwas zu tun. Mit diesem Menschen schon gar nichts. Wir stehen da.

Nun löst das scheinbar etwas in diesem Menschen aus. Das Spotlight wäre also eigentlich auf denjenigen zu richten, der da Gefühle hat, ausgelöst durch unser Sein. Da ist das Licht, in dem er sich erkennen könnte. Der nimmt allerdings direkt einen Spiegel und lenkt das Licht, das ihn treffen würde, auf uns um. Plötzlich stehen wir im Licht. Wer hinter dem Spiegel steht, ist nicht erkennbar. Wir sind geblendet. Derjenige wird selbst nicht sichtbar.

Da ich nun im Licht stehe, schaue ich ausschließlich auf mich. Ich schaue nicht mehr, woher der Scheinwerfer kommt und warum. Ein Teil in mir, der solches Verhalten von den Bezugspersonen aus der Kindheit kennt, fängt an, tatsächlich den Fehler bei sich zu suchen und versucht sich zu erklären, welches „Verhalten“ von mir denn jetzt den anderen in Bedrängnis gebracht hat und was es zu ändern gäbe, damit der andere zufrieden ist, nicht mehr gestört wird oder sich nicht mehr belästigt fühlt.

Das Ganze ist so geschickt getarnt und verdreht. Mir werden die Gefühle des anderen in meine Verantwortung geschoben mit dem Deckmäntelchen der Unstimmigkeit. Da wäre etwas unstimmig bei uns. Ja, und wenn tatsächlich etwas unstimmig ist, warum müssen wir unbedingt darauf hingewiesen werden, obwohl wir mit diesem Menschen in keiner Beziehung sind? Unsere Unstimmigkeit dürfte also keine Auswirkungen auf ihn haben. Was also ist in ihm wirklich los? Darum ginge es eigentlich.

Als Kind konnte ich das alles nicht überreißen. Die ganzen Facetten, Dynamiken, Verdrehungen. Ich konnte nicht erkennen, dass mir damit etwas hingeschoben wird, was nicht in meiner Verantwortung ist. Ich hatte keinen Ausdruck dafür, konnte es nicht benennen und selbst als ich es noch so gut benennen konnte, hat der andere doch nicht verstanden, hatte kein Einsehen, dass er gerade versucht, mich zu einer Veränderung zu bewegen, damit er nicht mehr angetickt ist. Es gab bei den Erwachsenen in meinem Umfeld keine Idee davon, dass es eine Verantwortung für die eigenen Gefühle gibt.

Als Kind habe ich weiterhin geglaubt, dass die Erwachsenen es ja doch trotzdem irgendwie besser wissen müssten, dass sie wohl doch irgendwie recht haben müssten und ich mich täusche, auch wenn ein Teil in mir genau wusste, dass hier was gewaltig nicht stimmt. Auch das habe ich im Erwachsenenleben an mir entdeckt: Dass ich den Menschen, die so selbstbewusst Kritik an mir üben, aus irgendwelchen Gründen mehr Kompetenz und Expertise zuordne, als mir selbst und meiner Wahrnehmung, die eindeutig Warnsignale sendet.

Das alles hat mich immer wieder diesen Knochen nehmen lassen, den die anderen mir hinschieben und ihn zu meinem erklären lassen. Ich habe angefangen, darauf herumzukauen, so schnell hab ich oft gar nicht schauen können. „Da legt mir jemand was hin? Muss meins sein.“

Situationen, wie die von gestern, helfen mir ungemein, die Verdrehungen aus der Kindheit zu erkennen. Wieder sind einige Groschen gefallen. Wieder habe ich Aspekte in diesem Phänomen erkannt, das mir wieder und wieder begegnet.

Dieses Bild mit dem Spiegel und der Blendung hat mir so sehr geholfen. Es ist so griffig und darin ist für mich so klar zu erkennen, was da eigentlich abläuft und warum das so gut funktioniert, dass nur ich mich in Frage stelle und den anderen gar nicht wirklich wahrnehme. Ich muss schauen, woher das Licht kommt, in dem ich plötzlich stehe, wer dahinter ist, wie derjenige da ist und vor allem, ob wir überhaupt in Beziehung stehen. Und auch wichtig: Was geht ihn mein Handeln wirklich an?

Mal sehen, wie lange ich hier noch auf der Trainingsmatte bin. Sie werden so lange kommen, diese Sparringspartner, die mir was unterjubeln wollen, bis ich nicht mehr anfällig dafür bin, weil das Spiel komplett durchschaut ist. Ich bin gespannt…