Mittwoch, 11. Dezember 2019

Ich bin das Beste, was ich je hervorgebracht habe

Eigenlob stinkt? Eigenlob ist unabdingbar, notwendig und heilsam. Anzuerkennen, was wir tatsächlich vollbracht haben, uns dessen bewusst zu sein, es bis in die letzte Zelle zu verstehen, sorgt für die nötige Hochachtung und Demut vor uns selbst.

Durch wie viele dunkle Täler sind wir gegangen? Wie oft waren wir kurz davor, alles hinzuschmeißen, aufzugeben, zu kapitulieren? Was haben wir nicht alles durchgestanden, ausgestanden, überlebt? Körperlich wie seelisch?

Was wir schon alles erlebt haben, was wir die letzten Jahre in Heilung gebracht haben, ist enorm. Unsere Wege eine Aneinanderreihung großartiger Heldentaten und Erfolge.

Dass wir hier heute aufrecht und geläutert stehen, hat mehr als einen Orden verdient. Wir haben wahrhaft eine Meisterleistung vollbracht und dürfen uns wirklich den Ritterschlag selbst erteilen. Wir haben das alles uns selbst zu verdanken. Unserer Willensstärke, unserer Entschlossenheit, unserem Sturkopf, unserer Vehemenz, unserer Ausdauer, unserem unerschütterlichen Glauben.

Ja, da war immer auch Hilfe und Unterstützung, aber vor allem war da unser Wille, der diese Hilfe erst in unser Leben gebracht hat.

Seit bestimmt einer halben Stunde sitze ich hier und weine. Ich weine vor Dankbarkeit, Demut, Erleichterung, Stolz, Berührung, Hochachtung vor mir selbst und all den wundervollen Seelen, die parallel mit mir unterwegs sind. Ich weine und merke wie nochmal richtig alter Schmerz abfließt aus den dunkelsten Stunden der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Da löst sich nochmal richtig was aus den Zellen.

Ich schaue zurück und kann es teilweise wirklich nicht fassen, was die letzten Jahre alles passiert ist, wie extrem sich mein Leben verändert hat, meine Einstellung, meine innere Welt und meine äußere sowieso.

Niemals werde ich vergessen, wo herkomme, was ich erleben musste, um die zu werden, die ich heute bin. Ich ziehe so dermaßen meinen Hut vor all den früheren Versionen von mir und dem, was sie erfahren haben. Extremste körperliche Schmerzen, wieder und wieder, all die Ängste, Zweifel, Einsamkeit, den Druck, die Verzweiflung, die Ohnmacht, dieses Abgeschnittensein von mir selbst, die Leere, die Einengung, die unzähligen Versuche, mich zu verbiegen, anzupassen, mich zu übergehen, mich irgendwo reinzupressen, endlich dazuzugehören, richtig zu sein, angenommen.

In all dem Wust, den Irrungen und Wirrungen den Weg gefunden zu haben, mich gefunden zu haben, tatsächlich wirklich und wahrhaftig mich, ist die größte Tat, die ich je vollbracht habe.

Wenn wir alle, die wir in den letzten Jahren einen solchen Weg gegangen sind, uns jetzt nicht vor uns selbst verneigen, uns achten und ehren und feiern, dann weiß ich es auch nicht.

Ich für meinen Teil setz mir aber sowas von die Krone auf, verleih mir tausend Orden, nehme mich selbst in den Arm, klopf mir wieder und wieder auf die Schulter und bin einfach nur mega stolz auf mich. Ich bin meine Meisterleistung! Das Beste, was ich je hervorgebracht habe!

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche