Mittwoch, 11. Dezember 2019

Ich bin nichts für schwache Nerven

Ich glaube wirklich, dass ich für manche ziemlich erschreckend, ja sogar abschreckend bin. Ich glaube, dass manche sogar Angst vor mir haben, Angst vor meiner krassen Ehrlichkeit.

Ehrlichkeit sind viele noch nicht gewöhnt. Aufrichtige Worte direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen, gerade wenn diese Wahrheit nicht beinhaltet, dass ich den anderen super gut finde, muss man erstmal aushalten können. Da kommen Gefühle hoch, die vielleicht erstmal nicht so prickelnd sind.

Ich bin wirklich nichts für schwache Nerven und mir ist das vollkommen bewusst. Bei mir muss man immer damit rechnen, dass ich etwas ausspreche, was lieber nicht auf den Tisch sollte, was noch nicht angeschaut werden will. Die Schatten, die so lange verdrängt wurden, werden in meiner Nähe nur allzu schnell sichtbar. Die meisten spüren, dass ich mehr sehe und fühle als andere. Dass ich tiefer blicke, dass man mir nichts vormachen braucht. Sie fühlen sich durchschaut und dadurch bedroht. Viele weichen mir deswegen aus und ich kann es nur allzu gut verstehen.

Früher war ich selber eine von jenen, die die schonungslose Wahrheit nicht hören wollen. Ich wollte mir nicht begegnen. Ich wollte nicht von anderen hören, was sie wirklich über mich denken, wie sie mich finden. Ich wollte keine ehrliche Meinung. Ich fühlte mich klein, unfähig, schämte mich für mich, hatte null Selbstbewusstsein, konnte fast niemandem in die Augen schauen. Wenn jemand dagegen sehr selbstbewusst war, direkt, offen, frei, dann bin ich ausgewichen, hab mich noch unsichtbarer gemacht, als ich eh schon war. Ich wollte mit diesen Menschen keinen Kontakt, weil es so gefährlich war. Und gleichzeitig wollte ich nichts mehr, als von diesen Menschen gut gefunden zu werden. Ich wollte doch eigentlich genauso taff sein wie sie, so selbstbewusst, so beliebt, so offen. Eine Zerreißprobe.

Da ich mit mir so gar nicht zufrieden war, hab ich natürlich alles als Angriff erlebt, als Bedrohung. Ich habe alles persönlich genommen und auf mich bezogen. Jeder andere Mensch war eine potentielle Gefahr. Ich hätte mich ja in ihm wiedererkennen können, in dem, was er mir spiegelt und das wollte ich lieber nicht sehen.

Deswegen kann ich einen jeden verstehen, der mir ausweicht, der mich meidet, der nicht direkt mit mir sprechen will, sondern sich lieber über fünf Ecken über mich erkundigt, wenn überhaupt. Ich bin für viele eine tickende Zeitbombe. Ich trigger. Ich polarisiere. Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich hab krasse Ansichten und ich dulde keine Ausreden. Nie. Ich bin rhethorisch geschickt, kann jedes Scheinargument zerlegen, die größeren Zusammenhänge in Sekunden erfassen. Ich rieche Unwahrheiten fünf Kilometer gegen den Wind. Ich weiß sofort, wenn sich jemand selbst in die Tasche lügt und meistens weiß ich mehr über den anderen als er selbst über sich. Das kann verdammt unangenehm sein.

Das alles ist mir bewusst. Ich bin nichts für schwache Nerven. Gar nichts. Ich bin für Fortgeschrittene. ;)


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche