Dienstag, 28. Februar 2023

Es gibt den Ort in uns, an dem es nie geschehen ist

Schieb deine Schatten nicht mir in die Schuhe. Ja, da sind Wunden und ja, ich ticke sie an. Ich berühre sie, reiße sie auf, ohne dass ich drum weiß. Da ist keine böse Absicht. Ich will dich nicht klein machen, bloß stellen, lächerlich machen, ärgern, demütigen. Nichts läge mir ferner.

Mir geht es nicht drum, dir zu demonstrieren, wie unfertig du bist. Mir geht es nicht drum, weiter zu sein. Mir liegt nichts daran, mich über dich zu stellen. Das alles ist nicht mein Ansinnen. Da gibt es keine versteckte Botschaft und keine Hintergedanken.

Ich treffe lediglich einen wunden Punkt bei dir. Bekämpf mich nicht deswegen. Ich bin nicht das Böse. Ich bin nicht die, die die Wunde geschlagen hat. Ich bin die, die sie zum Bluten bringt. Ich bin die, die mit dir das Blut stillt. Die Wunde versorgt, sie anerkennt, achtet und ehrt und mit dir gemeinsam zum Wunder macht. Verwechsel mich nicht.

Du hast bei mir Raum, darfst mit allem da sein, aber greif mich nicht dafür an, dass ich alte Gefühle in dir hochhole. Verlange kein anderes Verhalten von mir, nur damit du deine Wunden nicht spüren musst.

Wir sind nicht hier, um zu vermeiden. Wir sind hier, um zu heilen und das geht nun mal nur, wenn wir uns gegenseitig zeigen, wo es noch blutet und eitert.

Schau durch die Schleier, die Filter, die Verzerrungen, die aus der Vergangenheit stammen. Sieh mich - dahinter.

Ich hab die gleiche Herausforderung. Weiß Gott!!! Ich neige nur nicht zum Angriff, sondern viel mehr zur Flucht. Ich neige dazu, mich zurückzuziehen, still zu werden, aus dem Kontakt zu gehen, alles ganz grundsätzlich in Frage zu stellen und mich dann davonzuschleichen. Erzähle mir, dass ich alleine besser dran bin, dass das ja eh nichts werden kann. Wieso sollte es diesmal anders sein? Ich sehe ja augenscheinlich die Beweise dafür, dass es sich wiederholt.

Ich muss und will durch diese Schleier schauen. So oft sie sich noch darüber legen mögen über diesen klaren Blick, den ich ganz grundsätzlich habe, so oft will ich sie lüften. Nein. Nicht lüften. Ich will sie verbrennen im Feuer der Erkenntnis, in den Flammen der Bewusstheit.

Ich wähle es, dich zu sehen. Dich in deiner Reinheit und Schönheit, in deiner Größe, in deiner Reife, Weite und Güte, mit deiner Wärme, deinem Wohlwollen, deiner unendlichen Liebe. Ich will dich weder über deine Wunden definieren, noch durch meine Filter verzerren. Das alles SIND wir nicht.

Ich wähle, mir bei all dem deiner und meiner Göttlichkeit gewahr zu sein. Ich achte und ehre das heilige Wesen, das du bist. Ich achte und ehre das heilige Wesen, das ich bin. Erinnern wir uns gegenseitig. Immer wieder. Es gibt den Ort in uns, an dem es nie geschehen ist. Da will ich dir begegnen.

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche