Dienstag, 28. September 2021

Narzissten sind keine Arschlöcher

Narzissten, Psychopathen, Soziopathen, Arschlöcher, Egoisten, Verbrecher, Mörder, Betrüger - es ist egal, welches Etikett man draufklebt, welche Schublade man aufmacht, es sind Menschen. Menschen mit unterschiedlich schweren Traumata. Menschen, die getrennt von sich selbst sind, die sich selbst nicht wahrnehmen, die abgespalten sind vom Leben.

Diese Menschen versuchen ihre Bedürfnisse außerhalb von sich selbst zu stillen. Die Befriedigung muss von anderen kommen. Sie können es ja selbst nicht bewerkstelligen. Wie auch, wenn sie sich selbst nicht spüren können, keinen Zugang zum Innersten haben, keinen Selbstwert empfinden, keine Selbstliebe und auf jeden Fall fiese Gefühle vermeiden wollen, weil sie damit schlicht überfordert sind. Niemand hat ihnen beigebracht mit Schmerz umzugehen. Sie wissen nicht, wie man sich um sich selbst kümmert.

Ich will kein Mitleid erzeugen. Verständnis und Mitgefühl sind natürlich total wichtig und gleichzeitig ist es mir besonders in diesem Post wichtig zu sagen: Wir müssen sie nicht retten und wir können sie nicht retten. Wir müssen uns nichts von diesen zutiefst verletzten Menschen gefallen lassen. Ich sehe ihren Schmerz und ich bleibe bei mir.

Mit WIR meine ich die Empathen, die immer für alles Verständnis haben und sich meistens dabei selbst vergessen. Wir, die wir in Menschen lesen, wie in offenen Büchern, als ob in LED-Schrift auf der Stirn der anderen stünde, was sie brauchen und wir sehen uns sofort als Erfüllungsgehilfe. Wir sehen es ja nun mal, dann können wir auch gleich helfen, oder?

Die Arschlöcher dieser Welt sind nicht das Problem. Die, die alles mit sich machen lassen und ständig liefern, haben die eigentliche Macht und damit den Hebel in der Hand, den deutlich längeren Hebel wohlgemerkt.

Wie hat es Andrea Weicker mal so schön gesagt? "Das Opfer hat immer die Macht." Und ich spreche hier von erwachsenen "Opfern", die man in ihre Eigenverantwortung schicken kann.

Ja, Narzissten, Soziopathen, Psychopathen und was es noch alles für Bezeichnungen gibt, neigen zu Missbrauch. Klar. Sie brauchen emotionale Versorgung. Sie selbst können sie sich nicht geben. Was aber wenn alle aufhören würden, sich missbrauchen zu lassen? Was wenn alle Empathen und Belieferer von jetzt auf gleich aus dem Spiel aussteigen und diese Menschen auf sich und ihre Wunden, ihren Mangel zurückwerfen?

Es wäre sofort vorbei dieses Opfer-Täter-Spiel, die ewige Schleife aus Machtmissbrauch und Ohnmacht.

Ja, das Geschrei wäre groß und seeeeehr laut, aber dieses Geschrei und Gezeter ist nicht unsere Baustelle. Wir müssen nicht dafür sorgen, dass es aufhört. Wir dürfen aushalten, dass andere schreien, uns Schuld zuweisen, kratzen, beißen, spucken, betteln, weinen, jammern und in ihre Prozesse kommen, fiese Gefühle fühlen und sich mit sich selbst konfrontieren dürfen. Ja, sie wissen im ersten Moment nicht, wie es weitergehen soll. Ja, es sieht so aus, als würden sie ohne uns sterben, aber das ist nicht wahr.

Wenn wir immer zur Hilfe eilen und alles dafür tun, dass der andere nur nicht an seine Wunde kommt, vereiteln wir das Wachstum, die Eigenständigkeit des anderen. Es ist eine Abhängigkeit, die wir am Leben halten, eine Abhängigkeit von uns und unserer Hilfe, unserem emotionalen Futter. Wer ist jetzt hier angeblich nochmal das Opfer? Wir? Echt? Ich glaube nicht.

Narzissten (stellvertretend für alle "Täter") sind keine Arschlöcher. Sie schreien nach Hilfe und nutzen dafür alles und jeden in ihrer Ohnmacht und Verzweiflung. Ich muss das Spiel nicht mitspielen. Ich habe Mitgefühl und Verständnis und muss trotzdem keinen davon retten. Ich muss nicht dafür sorgen, dass sie bedient werden.

Narzissten dürfen neben mir existieren. Sie dürfen neben mir sitzen und weinen, jammern, mir ein schlechtes Gewissen einreden wollen, mir drohen, was auch immer. Das hat mit mir allerdings überhaupt nichts zu tun. Ich habe da schon lange keinen Auftrag mehr. Ich sehe sie. Ich reagiere aber nicht. Ich verlasse mich dafür nicht mehr.

Das Spiel ist vorbei. Ich habe mich gerettet. Sie dürfen sich selbst retten. Narzissten sind für mich keine Arschlöcher.


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche