Eine sich abgrenzen wollende Wut, eine Wut über Ungerechtigkeit, eine Wut über erfahrene Missstände, eine Wut wegen Nichterfüllung von Bedürfnissen bräuchte als Kind Wirkung, damit sich das Kind gesund entwickeln kann. Diese Wut ist da und verlangt eigentlich Veränderung, anderes Verhalten der Erwachsenen, der Bezugspersonen. Diese Wut zeigt an, dass da was nicht stimmt in der Versorgung, im System, in der Natur des Miteinander. Dafür ist diese Wut da. Gott gegeben und völlig zweckmäßig und richtig.
Meine Wut hat als Kind keine Wirkung gezeigt. All meine Versuche, auf o. g. Missstände aufmerksam zu machen, verliefen im Sande, prallten ab oder wurden gar verurteilt und bestraft. Ich wurde damit stehengelassen, nicht ernst genommen. Die Wut war aber da, diese Energie, die Wirkung fordert, die vor allem eigentlich Selbstwirksamkeit erfahren lässt und das Erleben ermöglichen sollte, sich wehren zu können, etwas einfordern zu können, etwas bewegen zu können, etwas verändern zu können. Folge war das Gefühl und Erleben von entsetzlicher Ohnmacht.
Ich hab sie gegen mich gerichtet diese Wut (und immer wieder auch gegen andere, gegen die ich mir Chancen ausrechnen konnte), um überhaupt etwas damit zu machen und in irgendeiner Weise Selbstwirksamkeit zu erfahren.
Auch in anderen Situationen von Ohnmacht kam dann diese rasende Wut, die nie Platz hatte an der richtigen Stelle, die nie Wirkung fand, wo sie eine hätte finden müssen und mit der ich nicht umzugehen wusste. Diese krasse Energie, die nicht unverrichteter Dinge bleiben möchte, die bewegen will. Ich hab Fingernägel gekaut, an der Nagelhaut geknippelt bis es blutete, Grinde abgekratzt, später mit Vorliebe Pickel gedrückt. Mit all dem hab ich mich ein Stück abreagiert, diese Wut kanalisiert, verwendet und mich dabei selbst verletzt. Eine sehr schräge Form, Selbstwirksamkeit zu erleben. Damals die einzig mögliche.
Ich bemerke diese Neigung zur Selbstverletzung heute noch. Stück für Stück bekommt die selbstverteidigende, Missstände anzeigende Wut einen konstruktiven Platz in meinem Leben. Da, wo sie hingehört. Wird von mir weg als Schutzschild verwendet, vor mich gestellt, wo sie hingehört, und nicht nach innen gegen mich gerichtet.
Meine Kleine erfährt, dass wir was ausrichten können. Die angestaute Wutladung baut sich ab, der Druck lässt nach. Es kommt mehr und mehr Gelassenheit. Ich hab zwar damals erfahren, dass ich nichts ausrichten kann, aber das ist nicht die letzte Wahrheit über das Leben selbst. Ich habe aus diesen kindlichen Erfahrungen der Ohnmacht die falschen, generalisierten Schlüsse gezogen.
Die Wahrheit ist: Meine Wut hat Wirkung. ICH habe Wirkung. Mein Nein zählt und wird gehört. Ein Stop wird akzeptiert. Das Benennen von Missständen wird gehört und ich erfahre Veränderung im Miteinander. Alles kommt wieder in die Natürlichkeit.
Halleluja! DAS ist die Wahrheit!