Freitag, 25. September 2020

Das globale Narzissmus-Phänomen

Die Wahrheit befreit, aber erst macht sie dich fertig - oder das globale Narzissmus-Phänomen

Hänsel und Gretel wollten es auch nicht glauben. Ihre Eltern schickten sie nicht nur alleine in den Wald. Nein, die Eltern waren auch noch bereit, den Tod der Kinder in Kauf zu nehmen, dafür, dass die Eltern die Wahrscheinlichkeit erhöhten, selbst nicht verhungern zu müssen, wenn zwei Mäuler weniger zu füttern waren.

Wer mit einem Narzissten als Elternteil groß geworden ist, erkennt sehr gut, was auf dieser Welt gerade vonstatten geht.

Es geht nicht um dich. Es ging niemals wirklich um dich. Du hattest nie auch nur den Hauch einer Chance. Du konntest es nicht richtig machen. Du hast niemals "genug" sein können, gut genug.

Das Gute daran? Du hast damit auch niemals etwas falsch gemacht. Du bist nicht schuld. An gar nichts, schon gar nicht am Leid der Eltern. Du solltest nicht besser sein, härter arbeiten, dich mehr anstrengen, gehorsamer sein, dich noch mehr verbiegen und anpassen. Du kannst die richtigen Worte nicht finden, um endlich zum anderen durchzudringen. Keine Erklärung deiner Situation oder der Fakten, würde Gehör finden. Es geht ja nämlich gar nicht um dich und deine Belange, um Verbindung und Menschlichkeit, um Nähe, Verständnis und Miteinander, darum, dass es jedem gut geht.

Du KANNST nicht zum anderen durchdringen. Hör auf, es zu versuchen. Da gibt es nicht die Möglichkeit auf Verbindung. Da ist nämlich niemand zu Hause. Es gibt da keinen Empfänger für deine Frequenz.

Du existierst als Mensch mit deinen natürlichen Grenzen und Bedürfnissen gar nicht. Du bist lediglich Bedürfniserfüller für sie und hast bitteschön keine eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu haben. Du hast komplett für sie da zu sein. Du hast dich gefälligst unterzuordnen, hinten anzustellen, aufzulösen mit deinem "Wollen". Du hast zu verzichten und sie zu beliefern.

In dem Moment, in dem du das begreifst, in dem dir klar wird, dass du nie auch nur ansatzweise eine Rolle gespielt hast, zerreißt es dich förmlich. Es ist so hart, zu realisieren, dass du egal bist, dass es dich für sie eigentlich gar nicht gibt, dass es eben wie gesagt, nie um dich ging. Es zerreißt dich, weil du begreifen musst, dass du und dein Wohl die ganze Zeit unwichtig waren, komplett unwichtig. Der letzte Funke Hoffnung darauf, die Erfahrung doch noch zu machen, dass du von ihnen vielleicht, eventuell, ganz bestimmt ganz bald doch noch gesehen und anerkannt wirst, erlischt. Aus der Traum. Es wird nie passieren. Du bist allein, haltlos, hilflos, entwurzelt, ohne Flügel, orientierungslos, auf dem Abstellgleis, vergessen und verloren. Wie Hänsel und Gretel komplett sich selbst überlassen.

Wer bist du denn eigentlich, wenn sie dich nicht sehen? Wer bist du, ohne diese Zugehörigkeit? Definieren wir uns nicht über die Beziehung zu anderen? Ist es nicht erst möglich, uns selbst im Kontext mit anderen zu erkennen? Gibt es dich nicht erst, wenn dich jemand sieht?

Du löst dich auf. Gott sei Dank! Du löst das auf, was sie dir beigebracht haben, dass du über dich denken sollst. Du löst damit alles auf, was du nicht bist, denn sie haben dir vorwiegend nur Lügen über dich erzählt. Du bist nicht unfähig, schwierig, kompliziert, zu laut, zu anspruchsvoll, zu egoistisch, zu dämlich, zu anstrengend, zu empfindlich, zu sensibel, zu faul, zu viel. Sie haben es dir suggeriert,aber es ist nicht die Wahrheit über dich.

Wenn der Schmerz über den Verlust deiner bisherigen Identität und der Schmerz über den Verlust von der "heilen" Welt/Familie abgeflaut ist, kommt die Befreiung, kommt die Explosion in den Raum der unendlichen Möglichkeiten. Wenn du all das nicht bist, wenn da keine alten Begrenzungen mehr sind, keine alten Definitionen mehr, musst/darfst du alles neu betrachten, neu bewerten, dich neu entdecken. Plötzlich kannst du dich entfalten. Plötzlich ist da Platz. Ja, diese Freiheit macht erstmal Angst, ist bedrohlich weit. Du fühlst dich nackt und schutzlos. Ausgeliefert. Schon wieder, nur anders.

Wer bist du denn eigentlich so nackt? Du hast zum ersten Mal die Möglichkeit, dich wirklich zu sehen, dich in deiner Essenz und Schönheit ohne all die vorgefertigten Meinungen über dich und dein Sein. Ohne all den Rotz, der dich bisher an deiner Größe und deinem immer fortwährenden Wachstum gehindert hat.

Das ist die große Chance, die nach dieser Ent-Täuschung auf dich wartet. Du selbst bist das Geschenk, das hinter dem Schmerz dieses knallharten Aufwachens auf dich wartet. Wenn du dich selbst erstmal gefunden hast, gesehen, geschaut, erkannt hast, gibt es nichts mehr, was du noch von anderen/ihnen brauchen könntest. Dann bist du vollständig, da, angebunden, beheimatet in dir, auf der Welt, im Universum. Angekommen im Schoß von Mutter Erde, behütet von Vater Gott-Schöpfer. Gewollt, geliebt, getragen, versorgt, genährt, angefüllt, erfüllt, willkommen. Ein Glückskind, weil du endlich angekommen bist in deiner Schönheit, bei dir.

Du "musst" nicht mehr Opfer sein, weil du etwas zu bekommen erhoffst. Du hast dann alles und bist frei. Wo es kein Opfer mehr gibt, braucht es auch keine Täter mehr.

Die Ablösung von den irdischen Eltern - und allen Menschen, denen wir im Laufe unseres Lebens die Ersatzfunktion zuschieben wollten, wie z. B. Partnern, Vorgesetzten, Politikern, etc. - und die Hinwendung zu uns selbst und unseren wahren, kosmischen Eltern, ist das, was ich Erwach(s)en nenne. Das ist für mich der einzige Weg in die Freiheit. Es ist das, was gerade auf der ganzen Welt stattfindet.


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche