Meine Wahrheit sprechen, heißt mitteilen, was es in mir fühlt, denkt, wie sich mein Körper verhält. Ich rede von mir. Es ist eine einzige Selbstoffenbarung.
Ja, ich beziehe mich auf andere, aber nur in dem Maße, als das ich sage: "Das, was du gerade sagst oder tust, löst xy in mir aus." Oder: "Gerade ist da die Idee/Vorstellung, dass du mir nicht zuhörst."
Ich hab so viel schon in meinem Leben über mich ergehen lassen, ohne mitzuteilen, was das mit mir macht. Ich hab mich im Kontakt mit anderen schon so unglaublich oft ohnmächtig gefühlt. Ich hab alles geschluckt oder habe versucht, es wegzutransformieren, wegzuatmen, wegzudiskutieren.
Wie oft hab ich Monologen von anderen zugehört, die null von sich reden, die nichts von sich preisgeben, die über andere reden, gute Ratschläge geben, Predigten halten, sich über etwas aufregen, ohne in der Eigenverantwortung zu sein. Die reden, ohne ein Wort über sich selbst gesagt zu haben. Die körperlich da sind, aber nicht präsent.
Ich habs über mich ergehen lassen, weil ich ja höflich bin, nett. Man unterbricht doch niemanden. Ich möchte ja auch aussprechen dürfen. Dieses scheiß Gutmenschentum ist für Menschen, die generell mehr Verständnis und Mitgefühl für andere als für sich selbst haben, echt verhängnisvoll.
Das Ding ist, zuhören müssen ist eine Grenzüberschreitung. Da dringt tatsächlich etwas in mich ein, in meine Ohren, in meinen Geist, was ich nicht möchte. Ich vergewaltige mich regelrecht in diesem Moment selbst, wenn alles in mir STOPP schreit und ich es aber nicht ausspreche.
Umso mehr ich mich in den letzten Monaten ehrlich mitteile und direkt, ungefiltert sage, was im Kontakt mit anderen in mir vorgeht, umso mehr merke ich, wie oft ich Krieg gegen mich selbst geführt habe, weil ich all das drin behalten habe. Geschluckt. Bis es mich regelrecht fast zerrissen hätte.
Und die Hauptsache, so stelle ich immer mehr erstaunt fest, ist es noch nicht mal Grenzen zu setzen, sondern dass zu externalisieren und rauszulassen, was in mir vorgeht. DAS ist für mich gerade Heilung. Ich hab das früher alles drin behalten und versucht mit Grenzen die unangenehmen Gefühle zu vermeiden, die da eben ausgelöst werden. Ich wollte also schon im Vorfeld dafür sorgen, dass mit Vermeidung bestimmter Kontakte und Umstände, bestimmte Gefühle nicht passieren.
Was ist denn, wenn ich im Kontakt wirklich sage, dass ich mich gerade unwohl fühle, dass da Ohnmacht ist, dass da die Idee ist, dass ich bis zum Ende zuhören muss, obwohl mich der Inhalt des Gespräches überhaupt nicht interessiert? Was ist denn, wenn ich wirklich jemanden unterbreche und direkt sage, dass ich fertig mit zuhören bin, gerade dann, wenn es eine Situation ist, wo ich mich faktisch nicht umdrehen und gehen kann?
Ich merke regelrecht, wie mutig ich plötzlich in jede Begegnung gehen mag und kann, weil ich weiß, dass ich jederzeit sagen kann und werde, was tatsächlich in mir passiert. Ich verlasse mich nicht mehr, in dem Versuch fieberhaft herausfinden zu müssen, wie ich den anderen jetzt regulieren könnte, wie ich es mildern könnte oder wie ich es schaffen kann, die Situation zu verlassen.
Ich bleibe bei mir. Spüre in mich hinein. Höre meinen inneren Stimmen zu und äußere genau das, was da ist. Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken, in dem Wissen, dass das meins ist. In dem Wissen, dass generell weder ich noch der andere etwas mit dem machen muss, was in mir los ist. In dem Wissen, dass es für alles, was in mir stattfindet und was ich mitteile, keinen verstehenden Empfänger braucht. Mit der Erlaubnis mir selbst gegenüber, dass ich STOPP sagen darf und unterbrechen, wenn ich das brauche.
Ich spreche FÜR mich. Mehr nicht. Aber eben auch nicht weniger.
Diese Art von FÜR mich sprechen, ist gerade so eine Offenbarung und Heilung, dass ich es eigentlich gar nicht in Worte fassen kann.
Foto: Canva Text und Gestaltung: Anja Reiche |