Samstag, 28. Oktober 2023

Gilt dein Mitgefühl auch dir?

Aufrichtiges Mitgefühl und Verständnis für andere ist wichtig und heilsam. Gar keine Frage. Allerdings hüpf ich aus der Hose, wenn ich merke, dass dieses Mitgefühl denjenigen selbst nicht mit einschließt, der ach so viel Mitgefühl mit anderen hat und immer das Gute in jedem sieht, wenn vergessen wird, erstmal die eigenen Gefühle zu fühlen, bevor das Mitgefühl und Verständnis für andere kommt.

Da gibt es vielleicht Menschen im Umfeld, die nicht reflektieren, die Vorwürfe machen, die Erwartungen haben, die Schuldzuweisungen aussprechen, die über mich urteilen, ohne dass ich überhaupt auch nur ansatzweise nach meinen Beweggründen, meinem Befinden und Empfinden, meiner Sicht der Dinge gefragt wurde.

Ja, natürlich hab ich Verständnis für solches Verhalten. Ich weiß um die Wunden, Sorgen und Ängste der anderen. Sie schreien mich ja förmlich an. Natürlich kann ich nachvollziehen, warum sie es gerade nicht besser können.

Und was ist mit mir? Hab ich Mitgefühl mit mir? Verständnis, dass das echt doof ist, wenn man so überhaupt nicht verstanden wird, ja sogar völlig verkannt und nicht im Ansatz gesehen wird? Wenn man (vor)verurteilt wird? Wenn da kurzer Prozess gemacht wird und es überhaupt keine Gelegenheit gibt, auch nur einen Piep dazu zu sagen? Das Urteil ist fertig. Das Bild gemalt. Die Rechnung gemacht. Alles mögliche wurde verdreht, verzerrt und falsch verknüpft, Schlüsse gezogen, bei denen mir die Haare zu Berge stehen.

Jetzt sag mir einer, dass sich das geil anfühlt, wenn sowas passiert! Ganz ehrlich? Ich hab erstmal Mitgefühl mit mir. Verständnis für mich. Ich gönn mir die Wut, falls da eine ist, nehme die Ohnmacht wahr, das Gefühl, nicht zum anderen durchzudringen, mit keinem Wort der Welt, den anderen wirklich zu erreichen. Fühle alles, was so eine Erfahrung in mir antickt, auslöst, hervorholt und vor allem gönne ich mir ein gepflegtes STOPP und ein fettes NEIN!

Ja, ich hab Verständnis für die Sicht des anderen, die hab ich ja quasi immer sofort, weil ich mich halt nun mal in so ziemlich alles und jeden reinversetzen kann, aber das heißt noch lange nicht, dass ich das alles mit mir machen lassen muss. Wenn da jemand kommt, der meint mich anscheißen zu müssen, mir sagen zu müssen, was ich alles hätte machen müssen, oder lassen müssen, der direkt mit Vorwürfen das Gespräch eröffnet, dann weiß ich wo der Maurer das Loch gelassen hat. Entweder geh ich da durch oder der andere.

In allererster Linie bin ich für mich da. Begleite mich in meinen Emotionen und wahre meinen Raum. Mein Mitgefühl schließt mich aber definitiv mit ein. Viel zu lange wurde mir genau das abgesprochen. Viel zu lange musste ich immer nur Verständnis für die anderen haben. Ich weiß, wo mich das hingeführt hat. Ich weiß, was das mit meinem Körper gemacht hat. Ich weiß, was ich mir damit selbst angetan habe. Ich vergess mich nicht mehr. Und ich werde jeden daran erinnern, der zurück zu sich selbst möchte, jeden, der viel zu lange, viel zu weit von sich weg war.

Mitgefühl, das dich selbst nicht mit einschließt, ist Krieg gegen dich selbst.

Amen.