Sonntag, 12. Juni 2022

Alles erleben dürfen - Was für eine Freiheit

Es ist schon eine ganz spezielle Zeit gerade. Wie wenn das Leben mal wieder etwas die Geschwindigkeit rausnehmen würde. Zeit, zu reflektieren, zu verarbeiten, zu realisieren, die Dimension und das Ausmaß unseres Wirkens zu begreifen.

Gestern hat's mich total zerbröselt. Morgens um 5 Uhr ging es los. Kolik. Und sie wollte und wollte nicht aufhören. Meist ist sie nach kürzester Zeit vorbei, wenn ich denn überhaupt noch eine habe. Gestern nicht. 10 Stunden durfte ich in diesem krassen Prozess sein. 10 Stunden durchgehend heftigste Schmerzen, keine Position, die Erleichterung verschafft. 10 Stunden zwischen Hingabe, Wut, Verzweiflung, Toben, Wüten, still sein, Hinspüren, Verstehen, Erkennen, Transformieren. 10 Stunden Geburt. Meine.

Ich kenne diese körperlichen Zustände aus meiner Vergangenheit, aus meinem Heilungsweg, hatte sie aber echt jetzt über Jahre nicht. Gestern konnte ich dem Ganzen nochmal wieder mit neuer Bewusstheit begegnen, mit einem ganz anderen Selbstverständnis, einem ganz anderen Verständnis für den Prozess.

Da geht es nicht einfach nur um körperliche Symptome. Da geht es um so viel mehr. Ich konnte meine Oma so spüren und sprechen, ihren Konflikt fühlen, der in meinen Zellen gespeichert war und in dieser Kolik Ausdruck fand. Ich hab so sehr ihre Unfreiheit und Verzweiflung gespürt. Ich konnte nicht mal weinen, weil ich in dem Moment sie war. Sie konnte nicht weinen. So zu. So eingemauert. So abgeschnitten vom Innersten, um überhaupt überleben zu können.

Ich hab gezetert, geschimpft, gejammert, gewinselt, gebettelt, geschrien, hab allem Ausdruck gegeben, was in jedem Moment da war, alles zugelassen, mir alles erlaubt, ihr alles erlaubt. Maja hat mich die letzten Stunden so wundervoll begleitet, so viel mitgespürt und transformiert. Ich hätte diese Packung alleine nicht geschafft.

Im Nachgang wird mir nochmal so deutlich, was wir hier alle leisten als Wellenbrecher, als diejenigen, die endlich wirklich den Break der Vererbung machen, als diejenigen, die hinschauen und heilen, die aufräumen und bewusst machen. Meine Güte. Was für eine Nummer und manchmal echt eine raue.

Gleichzeitig ist da mehr Hingabe denn je und ein Heidenrespekt vor mir selber. Was hab ich nicht schon alles durchgestanden, überlebt, durchdrungen, durchgefühlt. Und da sitze ich heute nach diesem wahnsinns Ritt und bin im Frieden. Irgendwas sagt mir, dass das meine Geburt war. Dass da so viel aus meinen Zellen katapultiert wurde, was nicht meins war. Dass da nur noch ich bin. Meine Essenz. Dass es jetzt um ein neues Level geht, unbeeinflusst von Ahnenthemen und Kollektiv. Da bin ich in meiner Reinheit.

Gleichzeitig bin ich total offen und in einer nie gekannten Hingabe. Ja, es könnte dennoch wieder so ein Prozess dran sein. Ich könnte wieder aus dem Nichts solche Schmerzen haben. Immer und überall könnte es passieren. Und es ist ok. Damit mach ich mir nichts vor. Ich meine es so. Ich bin bereit. Ich kann es. Einmal mehr wurde klar, was ich alles schaffen kann, was ich alles in der Lage bin zu handeln. Alles, was nötig ist. Alles, was zum Auftrag gehört. Und wie gut war wieder für mich gesorgt. Ich hatte den Raum. Es war alles da. Ich hatte wundervollste Unterstützung von Maja, die "zufällig" da ist.

Genau wie ich die Angst, die Ohnmacht, die Wut nie loswerden wollte, genau so will ich diese körperlichen Geschichten nicht loswerden. Heilsein ist, alles sein dürfen, alles fühlen dürfen, alles erleben dürfen. Ich muss sagen, dass ich den Hut vor mir selber ziehe, weil ich merke, dass ich es wirklich ernst meine. Es darf jederzeit wieder geschehen. Ja, es gibt weiß Gott schönere Zustände und gleichzeitig darf es auch so sein. Was für eine Freiheit.


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche