Ein intensiver Prozess hat in den letzten Stunden einen Anteil zutage gebracht, der immer wieder an seiner Unschuld gezweifelt hat. Er wurde verletzt und verletzt und konnte für all die Verletzungen nichts und dennoch war da ein Zweifel an sich selbst. Ich mag euch mit auf die Reise nehmen und teilen, was sich bisher an Glaubenssätzen, Dynamiken und Erkenntnissen gezeigt hat:
Da war die kindliche Idee: Ich bin erst unschuldig, wenn der andere Seins nimmt.
Noch stimmiger und richtiger ist: Meine Unschuld ist erst dann wirksam, wenn der andere Seins nimmt. Da ist sie ja schon die Unschuld. Das ist genau das, was mich an- und umtreibt, dass ich zum Großteil um meine Unschuld weiß.
Im Grunde rufe ich (der Anteil) mit jeder Aktion und in jeder Auseinandersetzung immer nur: "ICH BIN UNSCHULDIG!!!! Siehst du es endlich auch? Ich kann für deine Wunden nichts."
Dieser Teil will, dass meine Unschuld anerkannt wird und dass sich damit auch das Verhalten des anderen mir gegenüber ändert.
Mir wurde erzählt, dass mein Schmerz mein Verschulden ist oder der andere nicht anders kann, als mir aus 1000 Gründen weh zu tun. Also per se keine Verantwortung dafür hat. Also entweder bin ICH schuld an meinem Schmerz oder halt keiner und ich muss mich damit abfinden, dass es halt weh tut.
Dieses „nicht anders können“ der Erwachsenen aus meiner Kindheit ist eine krasse Opferhaltung. Dieses eigene Opfersein machte sie automatisch zum Täter, was sie überhaupt nicht so empfanden, und für diese Taten mussten sie sich dann auch nicht verantworten. Weder vor sich noch vor mir. Sie hatten ja keine andere Wahl. Da ist riesige Wut in mir über diese Art der Verantwortungslosigkeit und der schlichten Hinnahme, dass mir weh getan wurde. Es fühlt sich an wie ein „sich aus der Affäre ziehen“. Ich musste für alles gerade stehen, auch für das der anderen und die anderen mussten für nichts gerade stehen. Das ist nicht nur ungerecht. Das ist Hochverrat aus den eigenen Reihen. Den schwächsten ans Messer liefern.
Was hinzu kommt ist, dass ich als Kind natürlich bemerkt habe, dass es dem anderen offensichtlich schlecht ging, ganz grundsätzlich, und ich hab mich immer gefragt, ob ich nicht doch etwas damit zu tun habe.
Dieses Gefühl „etwas“ an den Umständen noch nicht begriffen zu haben, noch nicht gesehen oder verstanden, war und ist immer wieder der Punkt, an dem ich mich verunsichern lasse und selbst an meiner Unschuld zweifle. Genau da könnte nämlich der Punkt sein, wo ich doch schuld bin. Schuld, dass es dem anderen schlecht geht. Schuld, dass er mir deswegen weh tun muss. Die Wahrheit ist, dass alles, was ich noch nicht begriffen habe, im anderen liegt. Ich habe den anderen noch nicht begriffen und auch noch nicht gegriffen, weil er sich nicht greifen lassen will. Er verschleiert, argumentiert, verwirrt, versteckt sich hinter Rollen und scheinbaren Zwängen. Er tritt mit seinen ganz eigenen Entscheidungen, sich all dem zu beugen, mit seiner Angst, mit seiner empfundenen Ohnmacht, mit dem empfundenen Minderwert nicht in Erscheinung. Er macht sich stattdessen groß in seiner Rolle mit der Übermacht, der er eigentlich unterliegt, im Rücken. Er gibt seinen Druck an mich weiter, ohne selbst darin „angreifbar“ zu sein.
Ich bin greifbar, werde zur Verantwortung gezogen, soll als Kind etwas übernehmen, zu dem die Erwachsenen nicht in der Lage sind: Verantwortung. Auch heute bin ich greifbar, ich bin von mir selbst begriffen und zutiefst erforscht, bereit immer weiter zu forschen und zu 100 % in meiner Verantwortung. (Danke für jede ehrlich erspürte Rückmeldung dazu, jeden Wahrnehmungsabgleich, ohne die ich nicht so hier stehen könnte!) Damals wie heute mache ich die Erfahrung: Der andere will sich weder selbst greifen, weil er nicht sehen und fühlen will, was da dann wäre und möchte sich auch nicht von anderen/mir begreifen lassen, weil dann klar wäre, dass er für seine Handlungen Verantwortung übernehmen müsste und klar wäre, dass mein Schmerz etwas mit ihm zu tun hat. Ganz konkret mit ihm.
Immer wieder ist da in den letzten Tagen krasse Übelkeit in mir und es spürt sich an, wie etwas, das mir reingedrückt wurde, das ich fressen musste, was tunlichst da wieder raus muss. Hierzu kam der Satz: "Nimm du das Schlechte an mir." Wie wenn mir gerade von meiner Mutter alles reingedrückt wurde, was sie an „schlechten“ Eigenschaften nicht an sich haben wollte, damit sie es an mir bekämpfen konnte.
Es gibt ziemlich viel auszukotzen und eine Wahrheit, die Gott sei Dank, so langsam bei diesem Anteil landet: ICH BIN UNSCHULDIG! Und das muss ich nicht beweisen. Vor allem mir selbst gegenüber kann ich aufhören, die Unschuld immer wieder erst aufs Neue beweisen zu müssen. Und ich kann aufhören, im Müll der anderen, meinen Fehler finden zu wollen, um dann nach stundenlangem Suchen festzustellen, dass das alles gar nicht mir gehört. Der einzige Fehler ist, dass ich denke, da wäre einer und den ganzen Misthaufen des anderen überhaupt erst in die Hand nehme.
Meine Kleine beruhigt sich mehr und mehr. Ein jahrzentelanger Schmerz kann da sein. Ein Kampf mehr findet wohl gerade beginnend ein Ende.
(Danke von Herzen, Michael, dass du mal wieder zur genau richtigen Zeit sowas von DA warst, mir Raum bist und hältst, mich in Frage stellst und mein mich in Frage stellen in Frage stellst. Danke für deine Klarheit, dein Vertrauen, dein mich Sehen und Erfassen, dein Forschen und deine Offenheit. Danke für diesen unfassbar wertvollen Dienst.❤️)