Samstag, 12. Oktober 2024

Die Seherin und die Gemeinschaft

Es strömt so viel auf einmal ein. Eigentlich habe ich mich hingesetzt um einen Text über die Seherin zu schreiben. Gleichzeitig pulsiert das Thema der Gemeinschaft, des Miteinanderlebens, was es dafür braucht, unabdingbar braucht.

Und während ich das hier tippe, fließen die zwei Stränge wie selbstverständlich zusammen und etwas rastet ein. Das gehört zusammen. Seherinnen und wahrhafte Gemeinschaft.

„Neue“, also eigentlich sehr alte, aber vergessene, ursprüngliche, echte, tiefe, natürliche, nährende Gemeinschaft braucht Seherinnen. Tatsächlich verwende ich absichtlich nur die weibliche Form, weil etwas in mir sagt, dass das gerade so stimmt. Das soll nicht heißen, dass es keine männlichen Seher gibt. Ich kann allerdings gerade nur aus der weiblichen Perspektive schreiben, weil ich die männliche Seite des Ganzen nun mal nicht kenne.

Was meine ich mit Seherin? Es gibt Menschen, die blicken unfassbar tief, denen bleibt nichts verborgen. Keine Maske, keine Rolle, kein Schauspiel bleibt unerkannt. Sie spüren seismografisch auf, wo Unstimmigkeiten zwischen z. B. Worten und Schwingung ist. Wo das Gesprochene nicht zum Gefühl passt. Sie sehen Dynamiken in Gruppen, in Räumen, in Organisationen, erkennen Widersprüche, Dissonanzen, Ungereimtheiten, Absichten hinter Worten und Taten, Manipulation, Ungerechtigkeiten, Missbrauch, Unreinheiten, Wunden, blinde Flecken, genauso wie die Essenz, Potentiale, das reine Wesen, Sehnsüchte, Gaben.

Ihren „Augen“ bleibt nichts verborgen. Es ist der wahrlich sehende Blick. In ihren Augen spiegelt sich der andere klar und unverzerrt und erkennt sich damit selbst. Das ist nicht immer angenehm. In diesem Spiegel ist wirklich ALLES von sich selbst zu sehen. Licht wie Schatten. Dieser Blick macht manchen gehörig Angst und die bloße Anwesenheit eines solchen Wesens kann unangenehm sein und zu Abwehr führen.

Gleichwohl sind es genau diese Seherinnen, diese Seismografen der Gesellschaft, die so sehr gebraucht werden, wenn es um die Hinbewegung zur wahren Natur gehen soll, zum ureigenen Rhythmus, zum Puls der Schöpfung, zur göttlichen Ordnung. Diese Wesen spüren nicht nur den Puls der Schöpfung, sie sind er. Sie hören und fühlen die Natur, die Ordnung und können sofort rückmelden, wenn etwas aus eben dieser Ordnung fällt. An ihnen ist sofort ablesbar, was in Räumen schwingt und ob es stimmt oder eben nicht.

Wer sich selbst wirklich begegnen möchte, möge ihnen begegnen.

Nun ist es unglaublich wichtig, dass die Seherin keine verletzte ist und dass das, was sie wahrnimmt, nicht zu niederen Zwecken verwendet wird. Während ich das schreibe, kommt Betroffenheit und Mitgefühl. Etwas in mir erinnert sich daran, dass ich all die feine Wahrnehmung selbst schon missbraucht habe. Ich sehe und anerkenne meine Wunden. Ich verneige mich vor den Anteilen, die das getan haben.

Ich bin eine solche Seherin und ich nehme wahr, wie sich eine nach der anderen erhebt, zum Vorschein kommt, oft nach langen Wegen der Selbstreflexion und Innenschau, mit dem Bestreben, rein da sein zu können. Oft nach jahrelangem Schweigen, weil die Angst, wieder dafür zu brennen, wieder bestraft, bekämpft, verkannt zu sein, ausgeschlossen zu werden, allein zu sein, zu groß war.

Über weite Strecken hat es mich schier verrückt gemacht, dass ich anscheinend immer die einzige war, die Ungereimtheiten wahrgenommen hat. Ich habe an mir gezweifelt, an meiner Wahrnehmung, habe Themen zu meinen gemacht, die nicht meine waren. Zutiefst verunsichert darüber, dass das alles sonst keiner merkt. Dieses Alleinesein verändert sich gerade massiv. Wahrnehmungsabgleich findet statt. Die Seherinnen holen sich gegenseitig nach Hause, korrigieren verzerrte Selbstbilder und stehen da plötzlich. Lodernd. Klar. Aufgerichtet. Unverrückbar. Unerpressbar. Selbst-bewusster denn je. Die Angst mag noch da sein, aber sie hindert nicht mehr.

Wir haben uns nun gegenseitig, stehen nicht mehr alleine da. Uns kann nicht mehr weisgemacht werden, dass wir diejenigen sind, die sich täuschen, dass mit uns etwas nicht stimmt.

Mit dieser Selbstsicherheit und mit der Möglichkeit, sich mit anderen abzugleichen und sicher zu gehen, dass die Wahrnehmung wirklich rein ist, können wir für das menschliche Miteinander Großartiges leisten.

Ich ahne, dass der Wandel da ist. Waren wir lange Zeit in Gemeinschaften eher der Störenfried und nicht gerne gesehen, fühlt es sich jetzt so an, als würde ein neuer Wind wehen und unsere Qualitäten wieder gefragt sein. Wohlgemerkt bei denen, die ernsthaft in die Ordnung kommen wollen.

Gerade frage ich mich, warum ich das alles schreibe und habe nur eine Antwort. Das ist das, was mich gerade unter anderem bewegt. Mir kommen manche Passagen seltsam vor, wie nicht wirklich von mir und genau so muss es stehen bleiben.

Nun denn. Hinaus damit in die Welt.

Danke, Sarah, danke Annette fürs Beleuchten, Hinschauen, Sehen, die Inspiration, eure Klarheit.