Mittwoch, 5. September 2018

Ein Brief an die Schokolade

Geliebte Schokolade!

Da bin ich wieder. Verzeih mir, dass ich dich so lange aus meinem Leben verbannt hatte, dass ich mir dich verkniffen habe, ohne das bewusst zu merken. Ich dachte, ich könnte ohne dich. Ich dachte, ich "brauch" dich nicht mehr, brauch den Genuss nicht mehr, den du mir immer so wunderbar bereitet hast, die Freude. Ich dachte, ich wäre "darüber hinaus", weil ich mich ja vollwertig und gesund ernährte. Es war irgendwie ein schleichender Prozess und ehe ich es mich versehen konnte, warst du unterschwellig sogar zum erklärten Feind geworden.

Die letzten Tage ist mir da so einiges bewusst geworden. Mit Erschrecken musste ich feststellen, wie ich mit innerlich verächtlich hochgezogenen Augenbrauen durch den Laden gegangen bin und abfällig und verurteilend auf all den "Scheiß" in den Regalen geschaut habe, auf Süßigkeiten, auf Fertigprodukte, auf dich.

Das gleiche als wir über die Kirmes gelaufen sind. Wieder diese veurteilende, abschätzige Haltung. Wieder dieses Abwerten von all dem Süßkram und Fastfoodzeug.

Ich meine, was kann so eine Haltung schon mit mir machen? Kann dieses "Anti" gesünder sein als die Freude, die ich hätte, wenn ich mir dich gönnen würde?

Da durfte die letzten Tage wieder so einiges integriert werden. Ich will dich nicht mehr verurteilen. Ich will dich nicht mehr als schlecht abstempeln. Als Feind sehen. Genauso wenig wie Zucker im Allgemeinen, wie Weißmehlprodukte, Fastfood und andere industriell hergestellte Produkte. Viel mehr will ich darin wieder die Fülle sehen, aus der ich wählen kann. Ich muss es nicht kaufen, aber ich könnte, wenn ich wollte. Es ist ein Unterschied, ob alles da sein darf und ich wähle, oder ob ich nur das eine akzeptiere und das andere als schlecht verurteile. Es ist ein Unterschied in der Haltung, ein gewaltiger sogar. Das eine macht weit und frei und leicht und ist von Fülle geprägt und das andere ist eng, verbohrt und verkrampft.

Ja, ich will mich immer noch vollwertig und natürlich ernähren. Die Frage stellt sich nicht. Aber ich will die Verurteilungen zurück nehmen und ich will dich wieder genießen können. Ich will können, wenn ich will. Ich will wieder die Wahl haben und nicht kategorisch dagegen sein. Alles, was wir ablehnen, ziehen wir an. Und so war es die letzten Wochen kein Wunder, dass ich Heißhunger hatte und wusste nicht worauf, dass ich Fressattacken hatte, die mich nicht befriedigt haben. Mir war nach etwas und ich konnte es nicht benennen.

Irgendwann ist der Groschen gefallen. Ich hatte dich verurteilt, dich mir verboten. Da war keine Wahlmöglichkeit mehr. Du wolltest wieder angenommen und bejahend wahrgenommen werden, wieder integriert werden. Und das zu Recht.

Du bist nicht grundsätzlich schlecht. Wenn ich an dich denke, durchströmt mich Freude, meine Augen fangen an zu leuchten, wie bei einem Kind an Weihnachten. Ich liebe deinen Geschmack. Ich liebe deine Konsistenz im Mund, den Schmelz, das leicht Herbe. Ich liebe Kekse, auf die man dich verteilt hat. Ja, ich liebe dich und es ist einfach unsinnig mir diesen Genuss und diese Freude, diese Liebe, dieses Geschmackserlebnis zu verwehren. Kann das alles wirklich schlecht für mich sein? Niemals! Und das weiß ich! Die Geisteshaltung hat auf die Gesundheit einen weit größeren Einfluss, als die Materie, als die Stoffe, die wir zu uns nehmen. Krankheit hat die Wurzel auf der feinstofflichen Ebene, nicht auf der materiellen. Das zumindest ist meine Wahrheit.

Freude weißt mir den Weg. Ich will mir den Genuss beim Essen nicht länger mit dem Verstand und den Zutatenlisten verwehren. Mein Gefühl darf wieder wählen. Du sollst deinen Platz in meinem Leben wieder haben. Du darfst wieder da sein. Ich darf dich wieder haben, wenn mir danach ist. Ich darf auch nein zu dir sagen, wenn ich das will. Aber ohne Verurteilung. Ich will einfach können, wenn ich wollte. Ganz einfach!

Ich liebe dich!

Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche