Seit ich gestern dieser Gruppe hinzugefügt wurde, überrollen mich Erinnerungen an die damals 16-Jährige, die unangenehmen Emotionen, die sie damals hatte. Es kommt mir vor, wie wenn diese 16-Jährige aus einem anderen Leben kommt, aus einem anderen Universum. 1998! Lichtjahre her...
Ich fühle die Einsamkeit von damals. Was war ich verloren, hatte irgendwie nirgends Halt. War verbogen bis aufs Unkenntliche und so unendlich weit weg von meinem wahren Wesen, von dem was ich wirklich wollte und wer ich wirklich war. Ich hatte ja noch nicht mal mehr eine Ahnung davon, was ich wirklich wollte. Zu sehr war ich damit beschäftigt, es anderen recht zu machen, die Bedürfnisse anderer zu erfülle, zu funktionieren. Ich war eingeschlossen in ein Korsett aus Anforderungen und Pflichten, aus Bedingungen und Erwartungen, wie ich zu sein hatte. Von mir, meiner Persönlichkeit war nichts mehr übrig...
Mit den Eltern gab es gefühlt ständig Stress und eigentlich keinen Rückhalt. Ich musste irgendwie immer zusehen, wie ich alleine klar komme. Selbst zum Abschlussball kamen sie zu spät, haben den Eröffnungstanz nicht gesehen. Die Landwirtschaft, das musste ich doch verstehen... Die Beziehung, die ich damals hatte, war geprägt von Eifersucht seitens meines Partners und unkontrollierbaren Anfällen davon. Es reichte schon aus, einen anderen Jungen nur zu grüßen, schon ging es wieder los. Während andere nach dem Schulabschluss mit Freunden Urlaub machten und ordentlich feierten, wollte ich das nicht, weil es nur Ärger bedeutet hätte. Mit meinem Partner, weil er es gehasst hätte, wenn ich alleine weggefahren wäre, mit meinen Eltern, die das wahrscheinlich genauso wenig gut gefunden hätten und dann hätte ich sie ja noch um Geld dafür bitten müssen. Vielleicht hätte ich es bekommen, aber die Diskussionen bis zum Erfolg wollte ich mir ersparen. Das Leben zu genießen habe ich sicherlich nicht von meinen Eltern gelernt. ;) Und um all dem Ärger aus dem Weg zu gehen, habe ich es einfach gelassen und bin zu Hause geblieben. Habe in meinen letzten Sommerferien wie gewohnt auf dem Hof geholfen und bin dann im September ins Berufsleben gestartet, um endlich mein eigenes Geld zu verdienen, auf niemanden mehr angewiesen zu sein, frei zu sein.
Wenn ich so zurückdenke, dann war das damals die dunkelste Zeit in meinem Leben. Ich fand das Leben zum Kotzen, jede Veränderung war eine Bedrohung für mich. Ich vermutete überall einen Angriff, vertraute niemandem, war nur damit beschäftigt mich vor Verletzungen zu schützen, taff zu wirken, cool, schlagfertig, nur nichts an mich ranzulassen, am besten alles unter Kontrolle zu haben. Angriff, das war meine beste Verteidigung. Das gelang mir recht gut. Meist wirkte ich wirklich souverän, wie wenn ich alles im Griff hätte, alles irgendwie schaffen würde. Ich hab auch alles immer irgendwie geschafft.
Abschluss als Schulbeste, einen begehrten Ausbildungsplatz in einer damals angesehen Firma, Führerschein mit null Fehlern, Ausbildung souverän gemeistert, wieder Klassenbeste. Aber in mir sah es ganz anders aus. Von Glück und Zufriedenheit, von Leichtigkeit und Lebensfreude war da keine Spur. Diese Jugendliche von damals war innerlich verwahrlost, emotional unterernährt, verlassen und verloren, vertraute niemandem, sah überall die Gefahr, fühlte sich von allem bedroht. Aus materieller Sicht hatte ich immer alles. Ich hatte immer genug zu Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und dafür bin ich dankbar. Und dennoch nährt das nicht die Seele, ersetzt das keine Zuneigung, keinen Zuspruch, keine Wärme, keine bedingungslose Liebe. Gefühlt war ich damals für meine Eltern eine Figur am Rande, die funktionieren musste, so wie sie es eben von mir erwarteten.
Und nun blicke ich zurück auf fast 18 Jahre, die seit meinem Schulabschluss vergangen sind, blicke zurück auf meine dunkelste Zeit und in mir jubiliert alles. Ich habe dieses vernachlässigte Wesen von damals geheilt, mein inneres Kind versorgt und mit Liebe satt gemacht. Ich habe Frieden in mir gemacht, mit meinen Eltern und mit allen, die mich augenscheinlich verletzt hatten. Sie wussten es nicht besser und haben nur meine tiefsten Überzeugungen bedient. Ich habe dieses Opfer-Täter-Spiel verlassen und begriffen, dass alles Gute aus mir kommt und dass ich mein Leben mit allem, was dazu gehört, selbst erschaffe. Ich habe mich all dem Schmerz gestellt und den Weg zurück gefunden ins Licht, in die Leichtigkeit, ins Glück, in die Gesundheit, in die Freiheit, zurück zu mir. Heute weiß ich, wer ich wirklich bin, was ich vom Leben will, warum ich hier bin. Ich weiß, dass ich alles, was ich brauche, in mir finde. Und ich bin so stolz auf mich!!! Wer hätte gedacht, dass ich diesen schwarzen, dunklen Sumpf wieder verlassen kann?
Wo damals kein Licht war, strahlt heute alles! Ich sag ja: 1998 - Lichtjahre her!!!
Foto: Anja Reiche |