Prozess-Schreiben:
„Wieso hat das alles keine Konsequenzen? Ich sehe, dass es dir schlecht geht. Ich höre dein ständiges Jammern und Schimpfen, dein Fluchen. Ich sehe, wie sehr du das alles hasst. Wieso hat das keine Konsequenzen? Wieso veränderst du daran nichts? Warum bleibst du in all dem?“
Die Kleine steht da und versteht die Welt nicht. Da ist Verachtung. Da ist Fassungslosigkeit. Totales Unverständnis. Es ist so logisch für sie, dass das alles Konsequenzen haben müsste. Aber es hat einfach keine. Papa bleibt in all dem, schimpft weiter jeden Tag und es gibt keine Veränderung.
"Vor solchen Menschen kann ich keinen Respekt haben. Das ist lächerlich. Das ist nervig. Das ist unendlich langweilig. Haarsträubend. Ich kann es nicht mehr hören. Ich bin da ständig mittendrin. Jede Lösung, die ich vorschlage, die voll machbar wäre, bekommt ein Aber und wird weggewischt. Die Schimpferei geht weiter." Sätze der Kleinen.
Sie steht da und kann es einfach nicht glauben. Aber da ist noch etwas. Etwas ist noch nicht gesehen. Schlussfolgerungen? Urteile? Ich weiß es noch nicht.
Das Verhalten des Vaters zeugt aus Sicht der Kleinen von Schwäche, von Inkonsequenz, von Starre, von Dummheit. Sie kann nicht glauben, dass das wirklich alles passiert. Dass jemand so hohl sein kann. So verbohrt und engstirnig. Es ist regelrecht hirnrissig, was dieser Mensch von sich gibt. Da ist ja sie als Kind schon schlauer und konsequenter. Reifer. Erwachsener. Logischer.
Dieses Unlogische scheint eine große Rolle zu spielen. Dieses offensichtlich Dumme, was da vor sich geht. Jammern, aber nichts ändern. Das ist einfach nicht zu begreifen. "Warum?" fragt es immer wieder in ihr. "Warum macht man sowas. Das macht alles keinen Sinn."
Sie steht da wie angewurzelt und muss immerzu da hin schauen. Wie paralysiert. Da ist ein erwachsener Mensch und macht so offensichtlich kranke Sachen. Sie schüttelt sprach- und verständnislos mit entsetztem Blick den Kopf.
Jetzt wird etwas deutlich. Sie kann nicht glauben, dass da niemand ansprechbar und erreichbar ist, der bei klarem Verstand ist. Sie versucht die ganze Zeit den Erwachsenen in diesem Menschen zu erreichen, aber da ist keiner. "Hallo? Ist da jemand zu Hause?" Sie fuchtelt mit der Hand vor den Augen des anderen rum. Vergebens.
Das ist das Gruselige für sie daran. Dass da keiner zu erreichen ist. Es ist diese krasse Isolation, diese Einsamkeit, die das für sie bedeutet. Alle plemplem, im Wahn, weggetreten, kontrolliert, gesteuert von etwas Unsichtbaren, das für sie keinen Sinn macht. Sie kennt diese Ohnmacht nicht. Sie weiß genau, dass man nein sagen kann, dass man handeln kann. Sie weiß um ihre Eigenmacht und kann nicht begreifen, wieso die anderen sich ihrer eigenen Macht so vehement entziehen, ja sie sogar verweigern. Alle Erwachsenen um sie rum offensichtlich dem gleichen Wahn verfallen.
Immer hört sie, was alles nicht geht und sie geht hin und macht's und selbst das ändert nichts daran, dass die anderen sagen: "Das geht nicht." Sind die doof oder was? Ich meine…, HÄ???
Jetzt kommt noch mehr Licht ins Dunkel. Es wurden falsche Aussagen getroffen. Es hieß immer: „DAS geht nicht". Richtig wäre gewesen, wenn sie gesagt hätten: "ICH kann das nicht. Ich trau mich nicht. Ich habe Angst. Ich WILL das nicht." Oder Ähnliches. Sie waren nicht ehrlich zu sich und damit auch nicht zu mir als Kind. Natürlich war das alles höchst unlogisch, wenn die Wahrheit dahinter nicht gesprochen wurde, die echten Gefühle und Empfindungen nicht mitgeteilt wurden.
Jetzt entspannt sich etwas in ihr. Das Bild wird größer. Der Blick wird mit der Wahrheit, diesem Erkennen ein anderer. Das Bild wird ein anderes, sortiert sich neu. Es war schlicht das Wesentliche, das Eigentliche nicht gesagt. Jetzt sieht es aus, als würden sich die echten Gefühle der Erwachsenen mit ins Bild sortieren und auf einmal scheint alles mehr Sinn zu machen und nachvollziehbar zu sein. Die Sinnlosigkeit und das Nichtnachvollziehen können waren ebenfalls ein großer Teil dieser Paralyse. Die Kleine musste immerzu das Unverstehbare anstarren und fand keinen noch so kleinen Zipfel, an dem sie es hätte greifen können, es begreifen können, was da vor sich geht. Heieiei. So einleuchtend plötzlich alles.
Einmal mehr wird mir in all dem klar, wie wichtig, ja essentiell, Nachvollziehbarkeit für Kinder ist. Authentizität. Stringenz. Begreifen können. Verstehen können. Transparenz. Schlüssigkeit. Stimmigkeit. Wahrhaftigkeit. Wie viele innere Kinder bei mir an solchen unverstehbaren Stellen stehengeblieben sind und nach und nach genau da abgeholt werden wollen. Halleluja. Was für ein Segen, dass das nachträglich geklärt, aufgeklärt werden kann und wird. Jedes Fragezeichen wird über kurz oder lang zum Punkt. Die Mysterien werden klare, logische Bilder. Das System beruhigt sich. Aus Entsetzen wird ein erleichtertes "Ach so! Na, dann..." Ein sicheres, ruhiges Gefühl macht sich breit. Wieder ein paar lose Enden sortiert und richtig verknüpft. Wieder die Welt, die Menschen darin für die Kleine nachträglich mehr begriffen und richtig in Bezug gesetzt. So elementar.
