Montag, 27. Mai 2024

Wahrhaftigkeit oder gar nichts

Ich hab's so satt. Ich hab's so satt, wenn mein Gegenüber sich versteckt. Mir wird gerade bewusst, wie perfide das vonstatten geht.

Ich teile mich mit. Ich bin mit dem da, was ich gerade fühle, was mich bewegt. Oder ich stelle eine Frage, weil ich etwas nicht ganz verstanden habe in der Schilderung des anderen. Und dann kommt:

Ein "kesser" oder gar blöder Spruch. Ein "guter" Ratschlag. Eine ach so tolle Lebensweisheit. Eine Allgemeinposition. Eine Gegenfrage, die wieder auf mich zurückführt. (Ich stelle auch oft Gegenfragen, allerdings mit der Intention noch besser zu verstehen und dann antworten zu können, aber nicht mit der Intention von mir abzulenken.)

Ich könnte kotzen bei einem solchen Verhalten und mir wird bewusst, dass das in meiner Kindheit und eigentlich im Großteil meines Erwachsenenlebens so war. Und ja, ich war auch so. Genau so. Abwehrstrategie. Niemanden an mich ranlassen. Mich nicht angreifbar machen, in dem ich zeige, was wirklich in mir los ist. Mich nur nicht offen und verletzlich zeigen. Gar keine Frage. Ich kenn das zu gut. Und ich hab mich auf den Arsch gesetzt und die Wahl getroffen, dass ich MIR radikal begegnen möchte. Das geht. Das ist unbequem. Aber sowas von. Aber das geht, weil ich will.

Hier geht es deswegen mal gerade nicht um das Verständnis für die anderen und ich will gerade auch nichts von "die können es halt nicht besser" hören. Ich realisiere gerade die ganze Scheiße in vollem Ausmaß. Da ist Entsetzen, weil das als normal gilt und eigentlich so krass unnatürlich und unmenschlich ist. Ich würde sogar sagen krank.

Was hab ich als Kind über mich ergehen lassen müssen und musste trotzdem in Verbindung bleiben, ja sogar körperliche Nähe und Zuwendung von diesen Menschen "nehmen", die eigentlich überhaupt nicht da waren. Fremde, obwohl ich den ganzen Tag mit ihnen zusammen war. Versteckt. Niemand greifbar. Kein Funken Offenheit, kein Fitzel Selbstoffenbarung und wenn dann kombiniert mit Schuldzuweisungen, dass ich ich jetzt an den "schlechten" Gefühlen schuld bin. Nie wissend, wann der nächste verbale Angriff kommt. Nie sicher. Nie wirklich sicher.

Ich konnte nicht artikulieren, was da schief läuft, ich wusste nur, dass da was nicht stimmt. Menschen, die sich nicht zeigen. Nicht ums Verrecken. Die nur austeilen, nur beim anderen sind, nur da rumdoktern und all ihre unterschwelligen Gefühle auf diese Weise irgendwie zum Ausdruck bringen. Ihre Brocken den anderen hinwerfen und die Verantwortung für sich selbst gleich mit. Total verdreht und verquer. Kein Satz passte zu dem, was da fühlbar war. So viel, was zu meinem Problem erklärt wurde, war es nicht.

Nun passiert mir das heute, jetzt mit dieser Bewusstheit, in der ich begreife und benennen kann, was da eigentlich läuft und es kommt eine Scheißwut. Ja, Wut ist in letzter Zeit eigentlich ein Dauerbegleiter. Und ich kann's so gut verstehen. Es kommt all die gesunde Wut. Es kommen jetzt all die gesunden Reaktionen durch, die wegerzogen waren.

Es kommt die Wut nachträglich für früher und es kommt die Wut, die genau in die Jetztsituationen gehört. Deswegen schreibe ich hier genau jetzt diese Worte in dieser Wut.

Mir können alle gestohlen bleiben, die nicht zum Ausdruck bringen, was in ihnen gerade los ist. Ich brauch keine Floskeln, leeren Worte, blöden Witze, guten Tipps und auch keine Kalendersprüche. Ich will keine Geschichten über andere oder die Welt.

Ich will wissen, was genau DAVOR oder DABEI in dir los ist.
Was veranlasst dich zu dem, was du sagst? Was bewegt sich da in dir? Was ist denn vor dem dummen Spruch in dir los? Vor der Weisheit? Was ist die Intention deiner Aussage?

Willst du mir was geben? Was nehmen? Willst du dich schützen? Von dir ablenken?

Ich sag dir was:
Ich will DICH.
Pur.
Bei dir.
Mit dir verbunden und von dir sprechend.
Dich selbst offenbarend.
Egal, was da gerade los ist, in welche Untiefen das führt.
Ich will dich genauso pur, wie ich eben auch da bin.

Ich hab keine Lust mehr, mich auf den Maßstab derer zu reduzieren, die das nicht können. Krümel rauszupicken, mühevoll rumpuhlen, damit mal ein Fitzelchen sichtbar wird vom anderen. Verständnis. Bla. Oder noch schlimmer, dieses Theater über mich ergehen lassen. Und am allerschlimmsten: Deren Brocken aussortieren und schauen, ob davon nicht doch was meins ist. Schluss. Ende. Aus. Habe fertig!

Ich hab als Kind so oft die Zähne zusammenbeißen müssen (die reagieren gerade auffällig), schlucken müssen, meine Wut runterdrücken, damit ich überhaupt noch in Verbindung bleiben konnte. Ich könnte kotzen, wenn ich heute an diese Widerwärtigkeit denke. Da kommt Ekel und eben Wut. Zu Recht. Das gehört genau da hin.

Ich wurde gebrochen. Wieder und wieder. Hineingezwungen. Musste alle Ungerechtigkeiten über mich ergehen lassen, weil ich eben nicht gehen konnte. Ich hatte keine Worte dafür. Heute hab ich sie. Heute verstehe ich die Wirkprinzipien, sehe die Verdrehungen. Heute kann ich gehen. Heute kann ich es benennen. Heute kann ich STOP sagen. Heute kann ich wütend sein - für damals gleich mit. Gott sei Dank!!!!

Und heute kann ich meinen Standard setzen, kann mich an meinem Maßstab orientieren und mich ganz gezielt mit den Menschen umgeben, die den gleichen Anspruch haben. Menschen, die tatsächlich als Mensch da sind. Greifbar. Fühlbar. Warm. Mitfühlend. Offen. Nahbar. Ehrlich zu mir und sich selbst. Ehrlich im Sinne von, das ausdrückend, was wirklich gerade jetzt in ihnen da ist. Hinspürend. Forschend. In der Eigennverantwortung für ihr Innenerleben.

Ich bin so froh und erleichtert, dass es die gibt. Dass sie da sind. Dass ich den krassen Unterschied dadurch noch deutlicher fühlen kann. Dass dadurch eben der ganze alte Mist klar wird, sichtbar und durchs Erkennen Frieden findet. Der Scheiß hat wirklich stattgefunden. Das war keine Einbildung. Und hier und heute endet er. So wahr ich hier stehe.

Ausatmen. Erleichterung. Klarheit. Es wird ruhiger in mir. Puh! Danke!