Montag, 21. Februar 2022

Essen, um mich selbst zu spüren

Essen, um mich selbst zu spüren

Einsam unter Menschen.
Ich spüre die anderen nicht.
Ich spüre mich nicht.
Keine Verbindung.
Nicht zu mir.
Nicht zu ihnen.
Unerreichbar.
Ich.
Die anderen.

Essen! Ich muss essen.
Wenn ich esse, fühle ich mich.
Wenn ich esse, gibt es mich.
Wenn ich esse, sind da auch die anderen.
Sie sitzen mit mir am Tisch.

Essen! Essen hilft.
Essen ist die Brücke.
Essen versammelt.
Verbindet.

Und dann.
Stehen alle auf.
Und gehen.
Zurück bleibt Leere.
Wieder.

Wieder keine Verbindung.
Wieder alle weg.
Ich wieder weg.
Allein. Einsam.
Ohne sie.
Ohne mich.

Schmerz.
Haltlosigkeit.
Vakuum.
Distanz.
Verloren.
Vergessen.
Übersehen.
Übergangen.
Ignoriert.
Nicht erkannt.

Der Bauch ist voll.
Aber ich bin nicht satt.
Ich habe gegessen.
Aber nicht genossen.
Da war Nahrung.
Aber ich bin nicht genährt.

Die anderen, sie sehen mich nicht.
Es gibt mich nicht.
Einsam unter Menschen.
Abgeschnitten.
Isoliert.

Erkennt mich keiner?
Sieht mich keiner?

Ich muss was essen.
Damit ich mich spüre.
Damit es mich gibt.

Ist das wahr?

Wo bin ICH?
Wer bin ICH?

Ich brauche mich.
So sehr.
So sehr.

Ich suche mich.
Ich finde mich.
Jeden Tag.
Ein bisschen mehr.

Ich spüre mich.
Nach und nach.

Ich wende mich mir zu.
Begegne mir.
Allem in mir.
Ich erkunde mich.

Kontakt mit mir.
Tastend.
Forschend.
Vorsichtig.
Nachsichtig.

Ängste.
Schmerzen.
Not.

Ich bleibe.
Bei mir.

Verbundenheit mit mir.
Erkennen.
Anerkennen.
Schatten, Monster und Dämonen.
Abgründe.
Fratzen. Meine hässlichsten.

Erkennen.
Anerkennen.
Sein lassen.
Mich.

Ich bleibe.
Bei mir.

Mich spüren.
In der Gesamtheit.
Verbindung mit mir.
In mir sein.
Mich beseelen.
Ausfüllen.
Erfüllen.

Satt sein, ohne Essen.
Genährt sein, ohne Essen.
Kontakt mit anderen, ohne Essen.

Kontakt mit mir.
Endlich.
Ich bin da.
Es gibt mich.
Ohne Essen.

Verbindung aus mir selbst heraus.
Da sein.
Offen sein.
Weite.
Einladend.
Genährte Nähe.
Ohne Essen.


Foto: Canva
Text und Gestaltung: Anja Reiche