Sonntag, 20. April 2025

Nach Leben streben in einer Welt, die vergessen hat, was Leben heißt

Mein Erwachsenwerden wurde von der Ursprungsfamilie nie bezeugt, nicht anerkannt. Das tatsächlich Entwachsensein und wo anders hin müssen nicht erkannt. Mein Weiterziehen und Wegbleiben verurteilt und missverstanden. Mein Zurückkommen und Bleiben eingefordert. Meine Herausforderungen mit der Familie in ihrem Stehenbleiben nicht gesehen, die Unterforderung in der Tiefe der Begegnung, die Überforderung mit all den Verdrehungen, Schleiern, Projektionen, die Langeweile, dass ich etwas anderes brauche und gehen MUSS.

Das ist kein Vorwurf. Das ist eine Feststellung und wurde mir heute so richtig bewusst. Mein Erwachsenwerden wurde nie erfasst und bezeugt. Wie auch, wenn da keine wirklichen Erwachsenen sind, die das sehen könnten. Mein Gefühl sagt mir, dass das der natürliche Ablauf wäre. Erwachsene bezeugen das Entwachsensein.

Ich muss weiter. Ich muss wachsen. Über sie hinaus. Weit. Über mich hinaus. Immer wieder. Natürlich. Leben strebt nach Wachstum und Entfaltung, nicht materiell, sondern des Wesens.

Leben strebt nicht nach Routine und Sicherheit, nicht nach Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit, nicht nach materiellem Wachstum. Das tut Trauma. Leben ist stete Veränderung, Nichtwissen und Bewusstseins-Expansion. Die einzigen Konstanten, die es tatsächlich gibt.

Und dennoch scheinen viele diesen Drang, der mich stets begleitet hat, nicht zu spüren, diesen Wunsch nach sich selbst und der eigenen Blüte, nach Entwicklung, Wachstum, Lebendigkeit, Veränderung und Entdecken, was noch alles möglich ist. Oder es gibt den Wunsch, aber der Weg will nicht gegangen werden, die Dinge nicht angepackt bzw. losgelassen, die dafür not-wendig wären.

Die Scheinsicherheit der bekannten, ausgetretenen Pfade und erschlossenen Plätze scheint erstrebenswerter, sinnvoller, ausreichend. Zumindest für die Teile, die in der Kindheit so viel Unsicherheit erlebt haben. Aber wo sind die Teile – und die muss es geben – die ebenfalls nach mehr streben, die sich nach sich selbst sehnen, die diesen natürlichen Drang nach dem Leben selbst noch haben? Alles tot? Alles vergraben, betäubt, im Tun erstickt? In der Flucht, in der Sucht, in Substanzen?

Vielleicht bleibt es mir ewig ein Rätsel, wie einem das auf Dauer genügen kann. Wie es sein kann, dass sich die Natur in einem nicht letztlich durchsetzt. Natürlich – eben – ich weiß um Trauma, um Konditionierung, um Prägung, Verdrehung und Manipulation. Keine Frage. Nur mich hat das alles auch nicht aufgehalten. Mir war klar, ich muss und will da durch, auf der anderen Seite wieder auftauchen. Als ich selbst. Mein Durst war so groß. Mein Hunger nach Leben. Das Wissen um mehr, darum, dass das nicht alles sein kann. Etwas in mir WUSSTE. Unumstößlich.

Vielleicht – sehr wahrscheinlich sogar - ist nicht jeder dazu gemacht, sich zu erinnern, nicht hier, nicht jetzt. Seelenplan. Maximale Trennung erfahren wollen. Ja. Ich kann nicht wissen, was die Seelen gewählt haben und was für sie ein Erfolg ist, erstrebenswert. Es müssen wohl andere Aspekte der irdischen Erfahrungsmöglichkeiten sein, die auf ihrer Agenda stehen. Vielleicht sogar karmischer Ausgleich. Auch möglich. Oder noch ganz was anderes, was ich gerade nicht auf dem Schirm habe. Und dennoch gibt es einen Teil in mir, der staunend, fragend da hinschaut und eben doch nicht ganz versteht, wie das sein kann. Der das gerne mal wissen will und fragen, ob es nicht doch irgendwo drückt und zwickt, weh tut, darin zu verharren.

Naja, wirklich wissen kann ich nur, was für mich stimmt, was ich brauche und will, dass mich Stillstand verrückt macht, gegen meine Natur geht. Und ich kann erfahren, was das alles für mich bedeutet, wenn andere so da sind, wie sie da sind, da bleiben, wo sie sind, sich über bestimmte Punkte nicht hinaus bewegen, Wunden nicht begegnen wollen, Gefühle vermeiden wollen, Situationen unbedingt umgehen wollen oder von all dem gar nichts wissen. Oder eben wie im ersten Absatz beschrieben, was es für mich bedeutet, wenn mein natürliches Wachstum sogar falsch oder gar nicht verstanden wird.

Das ist wohl mein Erfahrungsfeld: Nach Leben streben in einer Welt, die vergessen hat, was Leben heißt.

Ich bin so froh um die anderen wahrhaft Dürstenden. Es ist ein Fest mit ihnen weiterzuziehen, neue Gefilde zu erforschen, in jeden Winkel zu schauen, uns uns selbst zurückzuerobern, uns darin zu unterstützen und uns gegenseitig aus dem Status des Aliens zu entlassen. Wir haben halt nur nicht ganz so gründlich vergessen wie die meisten. Wir sind wohl dazu da, uns zu erinnern und das alte Wissen wieder zu leben, wiederzubeleben. Wir sind dürstend auf die Welt gekommen. Angetreten für die Essenz, das Urwesen, die Urnatur, die Rückerinnerung. Ewiger Drang hin zu uns selbst. Ewiger Drang zu Gott.

Danke, Christiane, für das unerwartete Bezeugen meines Entwachsenseins. Ein unglaubliches Geschenk, von dem ich nicht wusste, dass es das gibt.