Ich beobachte immer wieder, dass sich Menschen für eine sehr gesunde, erwachsene, berechtigte Wut verurteilen und tatsächlich der Meinung sind, mit ihnen würde etwas nicht stimmen. Soll heißen, dass da noch was erlöst werden muss.
Im Nachfolgenden mag ich Fragen stellen und Fühlproben zum Miteinander beschreiben, die helfen können, herauszufinden, ob die Wut in dir einfach nur berechtigt und gesund ist und mit dir alles in bester Ordnung, also kein „Thema“ von dir am Start ist.
(Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Absolutheit. Die Aufzählung soll als Orientierung dienen und basiert auf meiner eigenen Forschung und Beobachtung zum heutigen Stand.)
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Selbstüberprüfung:
Grenzensetzende Wut greift nicht an. Grenzensetzende Wut wehrt sich viel mehr gegen „Angriffe“ und Verstrickungen, wahrt die eigene Grenze. Sowohl körperlich als auch emotional. Hier soll es vorwiegend um das Subtilere, Emotionale gehen.
Grenzensetzende Wut sagt „STOPP! Nein! Hör auf! Ich möchte das nicht! Lass das sein! So nicht! Bis hier hin und nicht weiter! Dafür stehe ich nicht zur Verfügung. Diese Verantwortung übernehme ich nicht. Das stimmt so nicht.“
Grenzensetzende Wut wahrt meinen Raum, spricht für mich. Sie wirft nichts vor, sie weist keine Schuld zu, sie weist lediglich zurück, was nicht ihr gehört und was nicht stimmt.
Emotionale Grenzüberschreitung, emotionaler Missbrauch, Verstrickung und emotionale Übergriffigkeiten rufen als gesunde Reaktion sowohl Wut, als auch - meistens schon vor der Wut – Empörung, Ekel und Abscheu, Übelkeit, ein Gefühl von heftiger Abneigung und Widerwärtigkeit hervor. Das sind natürliche, erwachsene, berechtigte Reaktionen. Daran ist ganz und gar nichts verkehrt.
Und um ganz sicher zu gehen, ob nicht doch ein inneres Kind (mit) am Start ist:
Fühle ich mich gerade erwachsen, klar und kraftvoll oder eher kindlich, überfordert, in Not und bedroht?
Sage ich laut, deutlich, klar NEIN oder schlage ich verbal um mich?
(Falls beides für dich stimmt, findest du dazu ganz am Ende eine Ergänzung.)
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Wie ist der andere da:
Werden gerade die Gefühle des anderen an mir ausagiert? Reagiert sich gerade jemand an mir ab?
Werde ich lediglich benutzt, damit sich der andere besser fühlt oder geht es auch um mein Wohlbefinden? Werde ich wahrgenommen?
Spielen ich und mein Standpunkt in dem Ganzen eine Rolle oder geht es nur um das Empfinden, den Blickwinkel, das „Wohl“ des anderen?
Werde ich gehört und wird mir tatsächlich zugehört? Versucht der andere mich wirklich zu verstehen oder hört er nur zu, um zu antworten?
Werden meine Offenheit, meine Verletzlichkeit und meine Gefühle gegen mich verwendet?
Werde ich verbal angegriffen, attackiert?
Kommen Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Forderungen?
Erlaubt die „Bitte“ des anderen ein Nein? Fühle ich mich wirklich frei, zu wählen oder ist das Verhalten eher suggestiv und manipulativ?
Werde ich emotional erpresst?
Wird mir Druck gemacht? Werde ich aufgefordert, aus scheinbar gutmenschlichen, moralischen Gründen entgegen meinem Innersten zu handeln, gegen meine Integrität zu gehen?
Wird mir gedroht? Wird mir aufgezeigt, dass mein Handeln irgendwelche „negativen“ Konsequenzen hätte?
Werde ich belächelt, erniedrigt, gedemütigt, abgetan oder anderweitig unwürdig behandelt? Werde ich ständig unterbrochen? Wird oft das Thema gewechselt? Werde ich mit Redeschwällen überschüttet?
Ist der andere gerade dabei, mir die Verantwortung für seine Gefühle und Bedürfnisse zu geben?
Steht der andere mit im Fokus der Aufklärung oder wird alles dafür getan, dass nur bei mir geschaut wird?
Werde ich offenkundig zum alleinigen Problem der Differenzen im Miteinander erklärt?
Ist der andere mit seinem Innenerleben des Momentes da, emotional greifbar, oder werden nur Allgemeinpositionen bezogen, auf Konzepte und Theorien verwiesen?
Ist der andere nachvollziehbar, klar und stringent oder gibt es eher Widersprüche, Verwirrung, Ausflüchte, Begründungen? Ist es eher sehr unlogisch, nicht greifbar? Lässt sich der andere beim Wort nehmen? Kann ich mich auf etwas beziehen, was er gesagt hat, oder ist es eher schwammig und unkonkret?
Bezieht sich der andere auf etwas, was wirklich passiert ist, was ich getan habe und so gemeint war oder ist viel Interpretation und Auslegung dabei?
Ergänzung 1:
Emotionale Unerreichbarkeit, Verweigerung des anderen in echten Kontakt und wirkliche Beziehung zu gehen und für diese Nichtverbindung die Verantwortung dir geben zu wollen, ruft ebenfalls eine natürliche, gerechtfertigte Wut auf den Plan, die abweisen möchte, was nicht dir gehört, nicht stimmt und nicht wahr ist.
Ergänzung 2:
Die gesunde Wut, die in der aktuellen Situation total adäquat und angebracht ist, kann gepaart sein mit einer kindlichen Wut. Es kann also durchaus sein, dass die Wut im gegenwärtigen Moment völlig berechtigt ist und gleichzeitig „zu viel emotionale Ladung hat“. Nämlich eine Ladung, die vielmehr in die Kindheit gehört und in eine ganz andere Beziehung. Wenn du fit im Selbstreflektieren bist, wovon ich jetzt einfach mal ausgehe, dann wirst du schnell merken, ob noch zusätzliche, alte Ladung am Start ist und wo die tatsächlich hingehört, also erlöst werden kann.
Zum Schluss:
Vielleicht war dir etwas davon ein Beitrag. Wenn ja, freue ich mich. Wenn nein, freue ich mich auch, halt über was anderes. 😉