Freitag, 15. April 2016

Kinder narzisstischer, egozentrischer Eltern

Ich möchte heute über ein Thema schreiben, das mich sehr geprägt und im Erwachsenenleben sehr beeinflusst hat, ohne lange zu wissen, was da eigentlich läuft. Es geht um die Auswirkungen auf Kinder, die mit egozentrischen, narzisstischen Eltern groß werden. So konkret wie ich es heute tun werde, habe ich es noch nie beim Namen genannt. Allerdings merke ich schon den ganzen Tag, dass es an der Zeit ist. Auch mein Traum heute Nacht hat mich förmlich mit der Nase darauf gestoßen.

Es ist an der Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen für all jene unter euch, die in der Kindheit ähnliches erlebt haben, davon beeinflusst sind und die Spuren vielleicht heute noch tragen, aber nicht wissen, woher das kommt, geschweige denn, wie man sich daraus löst und befreit.

In meinem Artikel "Wie die Kindheit in uns nachwirkt" habe ich schon einiges davon angesprochen und auch sehr deutlich gemacht, wie mächtig die Kindheit ist und wie sehr sie unser Erwachsenenleben prägt und steuert, ohne dass wir uns dessen oft bewusst sind. Allerdings habe ich das Wort Narzissmus nicht erwähnt. Es schien mir zu hart und eine offizielle Diagnose diesbezüglich gibt es ja schließlich auch nicht. Also habe ich es gelassen. Dennoch tat es mir selbst unheimlich gut, dem Kind einen Namen geben zu können. Es half mir so sehr, viele Dinge einzuordnen und alles, was so subtil abgelaufen war, alles, was ich nicht richtig greifen konnte, neu zu bewerten und einzuordnen. Es tat mir gut, zu wissen, dass ich mir das nicht alles eingebildet habe, dass ich nicht zu empfindlich bin. Ich konnte mich von der Überzeugung lösen, dass ja eigentlich gar nichts wahr, dass sie es ja nur gut meinte und ich das alles nur falsch verstanden habe. Diese Erleichterung und diesen Blickwinkel, diese neue Klarheit will ich heute an euch weitergeben.

Bei mir betrifft es meine Mutter. Ich bin mir sicher, dass sie sich niemals mit Narzissmus oder überhaupt irgendeinem ungesunden Persönlichkeitsmerkmal in Verbindung bringen würde, ganz zu schweigen von einer Persönlichkeitsstörung. Das hat das alles nicht wirklich einfacher gemacht. Selbstreflektion ist quasi nicht vorhanden. Wie gesagt, es gibt keine offizielle Diagnose, aber passiert ist es trotzdem und verletzt hat es mich auch, verunsichert und mich ganz weit weg von einem eigentlichen Wesen gebracht.

Ich möchte kurz zusammenfassen, wie sich der Umgang mit ihr früher gestaltet hat. Sie ist zwar heute noch genauso, aber es triggert mich nicht mehr, sondern ich kann ganz klar meine Grenzen setzen und lasse mich nicht mehr benutzen, bin zurückgekehrt zu meiner eigenen Stärke, habe den Segen hinter all dem gefunden, habe vergeben und mich geheilt. Deshalb schreibe ich in der Vergangenheit. 

  • Sie hatte immer Recht, hat sich nie versprochen, nie etwas falsch gemacht. Schuld waren immer die anderen.
  • Sie war nie greifbar, wand sich aus allem raus. Man konnte sich nie auf Aussagen, die sie einmal getroffen hat, beziehen. Alles war dann nicht wahr, auch wenn sie sich ganz offensichtlich selbst widersprach.
  • Wenn man sie damit konfrontierte und das Herausreden nicht mehr ganz funktionierte, fing sie an zu weinen und gab mir das Gefühl, sie verletzt zu haben. Der Konflikt wurde total verzerrt und drehte sich plötzlich gar nicht mehr um das, was es eigentlich ging. 
  • Ich konnte nicht gewinnen.
  • Sie hatte immer die Macht und das letzte Wort. Ich war hilflos ihrer "Gewalt" ausgeliefert. Diese "Gewalt" lief nur mit Blicken, Worten und dem Tonfall ab, mit Gesten, also sehr subtil und nicht zu greifen. Für Außenstehende war das alles nicht wirklich zu merken. Nach außen sah alles immer harmonisch aus. Das führte dazu, dass ich sehr an meinen Empfindungen gezweifelt habe.
  • Es gab keine Privatsphäre. Sie wollte immer alles wissen, kontrollierte meinen Müll, meine Post, stellte indiskrete Fragen, kam rein, ohne zu klopfen. Auch hier war es so, dass ich immer sofort das Gefühl vermittelt bekommen habe, dass ich zu empfindlich bin, wenn ich mich mal darüber beschwert habe. Selbst wenn ich auf der Toilette saß, stand sie vor der Tür und nutzte meine "Hilflosigkeit" aus, um mir ein Gespräch reinzudrücken. Aber das war aus ihrer Sicht alles normal.
  • Ich durfte keine eigenen Grenzen haben. Ich war lediglich eine Verlängerung, Erweiterung ihrer eigenen Person und quasi ihr Eigentum. Ich war dazu da, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie zu beliefern, mit Aufmerksamkeit, Zuwendung, etc. Diese Momente forderte sie auch gnadenlos ein, gab einem Aufgaben, bei denen man ihr persönlich helfen musste und nah sein musste, wie z. B. den Verschluss einer Kette zumachen, ihr etwas bestimmtes schenken. Hinterher wurde es so hingestellt, dass man das ja alles gerne und aus freien Stücken für sie gemacht hat, weil man sie ja sooo liebte.
  • Ich musste tun, was sie wollte und für richtig hielt. Tat ich es nicht, wurde ich mit Verachtung gestraft und bekam das Gefühl vermittelt, ihr weh getan zu haben, ungezogen zu sein, kalt und egoistisch zu sein. Sie redete mir immer ein schlechtes Gewissen ein, vermittelte mir Schuldgefühle.
  • Wenn es mir besser ging als ihr, z. B. weil ich mal etwas Schönes erlebt habe, was sie noch nicht erlebt hatte, dann wurde ich dafür "bestraft", es wurde mir vorgehalten und ich musste deswegen noch mehr zu Hause mithelfen. Schließlich hatte sie sich immer für mich aufgeopfert. Es ging gar nicht, dass es mir besser ging als ihr.
  • Meine Emotionen waren generell immer falsch. Ich sollte mich nicht so anstellen, durfte nicht wütend sein. Ich fing an, meinem Verstand und meinem Gefühl zu misstrauen. 
  • Sie stand immer im Mittelpunkt, riss jedes Gespräch an sich, drängte sich in jeden innigen Moment, den ich mit anderen Personen hatte, war generell eifersüchtig.
  • Sie war allgegenwärtig, lauerte gefühlt hinter jeder Ecke, hatte ständig eine Aufgabe für mich. Gefühlt hat sie mich nie aus den Augen gelassen, alles kontrolliert und mit Argusaugen überwacht.
  • Sie hat Tatsachen und Aussagen über andere Familienmitglieder verdreht, um gezielt Unfrieden zu stiften, die Familienmitglieder gegeneinander auszuspielen, sie zu verletzen. 
  • Sie vermittelte mir immer das Gefühl minderwertig zu sein, in dem sie meine Leistungen schmälerte. Sie wies mich darauf hin, wie ich es hätte besser machen können oder verwendete eine abwertende Sprache. 
  • Sie wurde nicht müde, zu betonen, was sie schon alles für einen getan hatte und geopfert hatte. Hier waren wieder die Schuldgefühle vordergründig. 
  • Wenn ich mit jemandem Streit hatte, stand sie immer auf der Seite des anderen. 

Sicherlich würde mir noch mehr einfallen, aber ich denke die Richtung ist klar. Das tückische an diesen Erfahrungen in der Kindheit und Jugend ist, das sie wirklich so extrem subtil sind, so schwer zu greifen. Da ist keine offensichtliche, körperliche Gewalt im Spiel, sondern unsichtbare, emotionale Gewalt, deren Verletzungen für Kinder oft schwerer sind, als sie es bei Schlägen gewesen wären. Und aus dem Grund schreibe ich heute darüber. Ich möchte allen Betroffenen sagen, dass sie sich nichts einbilden, dass sie sich nicht einfach nur anstellen und zu empfindlich sind. Da läuft bzw. lief etwas ziemlich schief in eurer Kindheit. Lasst euch nichts anderes einreden. Und wenn sich ein Elternteil auf diese Weise verhält, dann trägt das Kind Wunden davon und zwar richtig tiefe.

Eine damalige Freundin von mir, die Psychologie studiert, hat mich darauf gebracht, dass es sich beim Verhalten von meiner Mutter, um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handeln könnte. Das war im Januar 2014 und ich war gerade mittendrin, die Problematik mit meinen Eltern aufzuarbeiten und meine Wunden zu heilen, hatte in dieser Phase auch keinen Kontakt zu meinen Eltern. Da kam der Hinweis wie gerufen.

Ich weiß noch, wie gut es mir getan hat, über all das mal zu lesen. Es gibt sogar eine grandiose Internetseite, bei der man fast meinen könnte, sie wurde eigens über meine Mutter geschrieben: www.narzissmus.org
Ich war mit all meinen Problemen und Wunden nicht alleine.

Ab da las ich viel über Narzissmus und mir fielen die Schuppen nur so von den Augen. Ich weinte viel, teilweise, weil ich den alten Schmerz noch einmal durchlebte, teilweise aus Erleichterung, weil ich schwarz auf weiß lesen konnte, dass mit meiner Wahrnehmungen und dem Eindruck, dass hier irgendwas grundlegend falsch lief, total richtig lag. All die kleinen Sticheleien und Seitenhiebe konnte ich nun neu bewerten, all die Situationen, die mich fast in den Wahnsinn getrieben hätten und durfte feststellen, dass ich meinem Gefühl sehr wohl vertrauen kann, dass mit mir alles in Ordnung ist. (Ein Buch, das mir auch geholfen hat, ist Kinder egozentrischer Eltern.)

Die Wunden hatte ich natürlich trotzdem und die Auswirkungen und hinderlichen Glaubenssätze aus dieser Zeit waren heftig. (Mehr über die negativen Auswirkungen findest du in dem Artikel "Wie die Kindheit in uns nachwirkt") Aber ich wusste, wie ich all das heilen konnte und hatte eine Riesenmenge neue Klarheit und Selbstvertrauen, sah meine Mutter in neuem Licht und konnte mich ihr gegenüber nun entsprechend verhalten, mich nicht mehr in diese Machtspielchen ziehen lassen. Ich lernte, dass ich nicht dazu da bin, sie zu beliefern und mit Aufmerksamkeit zu versorgen. Ich lernte, meine Grenzen wieder wahrzunehmen und auch vehement zu vertreten, ließ mir keine Schuldgefühle mehr einreden. Mein inneres Kind brauchte zu der Zeit enorm viel Zuwendung. Es wurde ja emotional nie richtig versorgt, vielmehr wurde es ausgesaugt, Lebensenergie abgezogen, was sich auch heftig im Erwachsenenleben zeigte. Aber auch mit dem inneren Kind wusste ich umzugehen. (Mehr zur Heilung dieser Wunden findet ihr hier: Frieden mit den Eltern)

Allen Menschen, die ähnliches erfahren haben, kann ich nur Mut machen. Es ist hart, aber man kann sich aus so einer Kindheit und deren Folgen befreien. (siehe Frieden mit den Eltern) Es ist in Ordnung, Abstand zu seinen Eltern zu haben, während man sich seine Wunden anschaut und heilt. Es ist in Ordnung, seine Eltern nicht zu mögen, wir müssen das nicht. Wir dürfen wütend auf sie sein. Wir schulden ihnen nichts. Sie haben uns in die Welt gesetzt. Es war ihre Entscheidung, nicht die unsere (zumindest bewusst, auf einer höheren Ebene ja schon). Wir dürfen ihnen ihre Verantwortung für ihr Leben und für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse wieder zurückgeben.

Es wird wenig Sinn haben, das entsprechende Elternteil mit der Thematik des Narzissmus zu konfrontieren. Die meisten haben kein Einsehen und dafür auch viel zu wenig Selbstreflektion. Außerdem darf jeder sein wie er ist und auch so bleiben. Sie müssen sich nicht ändern. Sie müssen nichts nachholen oder wieder gut machen. Wichtig ist, dass ihr nun wisst woran ihr seid. Ihr braucht eure Eltern nicht, um euch selbst zu heilen. Ihr braucht eure Eltern nicht, um wieder in eure ganze Größe zu kommen, heil zu werden und vollständig, kraftvoll und lebensfroh. Wir können ihnen vergeben, auch wenn sie so bleiben wie sie sind. Betrachten wir ihre eigenen Geschichten und deren Kindheit, dann wird wahrscheinlich nur all zu schnell klar, warum sie genau so geworden sind und warum sie es nicht besser konnten. Sie konnten nur das weitergeben, was sie selbst als Kind bekommen haben und das war im Fall meiner Mutter nicht sehr viel. Ihre Entwicklung ist kein Wunder und sie hat mein vollstes Mitgefühl und Verständnis.

Ich wünsche mir, dass alle Menschen da draußen, denen es ähnlich ging, diese alten Wunden heilen können, die alten Beschränkungen ablegen können, ihren Eltern aus tiefster Seele vergeben können. Ich wünsche mir, dass sie sich selbst mit allem versorgen können, was ihnen die Eltern nicht geben konnten, ihr inneres Kind versorgen können. Ich wünsche mir, dass ihr erkennt, wie wunderbar ihr seid und zurück zu eurer euch ureigenen Kraft kommt, herauskommt aus der Opferrolle, die euch so lange auferlegt wurde und hinein in eure Schöpferkraft, zurück zu eurem wahren, genialen Wesen!

Fühlt euch ganz herzlich gedrückt! Ihr könnt es schaffen! ♥

Herzensgrüße von mir
Anja

Foto: Anja Reiche